Gewollt schwer erreichbar?
Wie §218 den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch erschwert
Selbstbestimmt? Kaum möglich. Warum Frauen in Deutschland für den Abbruch kämpfen müssen: Schwangerschaftsabbrüche gehören zur Lebensrealität von Frauen, Mädchen und allen, die schwanger werden können. Sie sind damit ein zentraler Bestandteil der medizinischen Gesundheitsversorgung. In Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche jedoch im Strafgesetzbuch (StGB) geregelt – das heißt: grundsätzlich illegal – und nur unter bestimmten Bedingungen für die schwangere Person und das medizinische Personal straffrei. „Aber das heißt ja, dass Frauen eine Abtreibung vornehmen lassen können!“ wird oft stolz verkündet, um von diesem rechtlichen Missstand abzulenken. Die Realität zeigt aber: Was auf dem Papier möglich scheint, wird durch eine unzureichende Versorgungslage erschwert. Ungewollt Schwangere stehen dadurch vor mehreren Hürden.
Geduldet, aber nicht immer gewährleistet?
Die Versorgung mit Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland ist an vielen Stellen nicht ausreichend gesichert. Das zeigte erst vor kurzem der Fall von Dr. Joachim Volz aus Lippstadt erneut: Nachdem seine Klinik mit einem katholischen Träger fusionierte, wurde ihm das Durchführen von Abbrüchen explizit untersagt – auch in seiner eigenen Praxis. Der Gang vors Gericht, der in erster Instanz erfolglos blieb, änderte nichts daran, dass es erstmal keine Schwangerschaftsabbrüche im Klinikum Lippstadt geben wird (gb stif) [1]. Ähnliches ist ebenso in Flensburg der Fall – dort werden in Kliniken zunächst keine operativen Abbrüche mehr durchgeführt (ndr) [2]. Diese Beispiele machen deutlich: Solange solche Vorgehensweisen rechtlich möglich sind, bleiben Versorgungslücken in Deutschland ein reales Problem. Und solange große Träger wie die katholische Kirche darüber entscheiden können, was in Kliniken gemacht werden darf und was nicht, wird die medizinische Gesundheitsversorgung auch nach ideologischen und religiösen Vorgaben gesteuert. Für ungewollt Schwangere kann das bedeuten: Der Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch scheitert nicht unbedingt an der rechtlichen Lage, sondern an der Haltung der Institution. Genau darin liegt eine reale Gefahr für die flächendeckende und verlässliche Versorgung mit Schwangerschaftsabbrüchen.
Viele Hürden, wenig Hilfe? Zwischen Recht und Realität
Hinzu kommt, dass die bestehende Versorgung schon an vielen Stellen zu schmal gedacht und mit Barrieren versehen ist. Dieser Fakt ist spätestens nach der Veröffentlichung der ELSA-Studie [3] nicht mehr von der Hand zu weisen. Die umfassende Befragung von ungewollt Schwangeren ergab, dass 61% der Teilnehmenden Schwierigkeiten hatten, den Abbruch zu organisieren. Weitere 58% empfanden es schon als schwer die nötigen Informationen zu finden. Weiterhin zeigten sich Probleme in Bezug auf die Kostendeckung bzw. Finanzierung (22%), dem Finden einer Einrichtung (20%) und oft längere Wegstrecken von über 50km (15%). Zuletzt klagten 9% über eine schlechte Erreichbarkeit der Einrichtungen, während 27% mehrere Einrichtungen für einen Termin kontaktieren mussten.
Diese Zahlen zeigen: Die Barrieren sind vielfältig und verstärken sich gegenseitig. Noch schwieriger sind die Umstände für ungewollt Schwangere in prekären Lebensumständen, mit bestehender Care-Verantwortung, Migrantisierung oder mit existierenden Vorerkrankungen. Marginalisierte Gruppen werden im bestehenden System schlichtweg nicht mitgedacht.
Gleichzeitig besteht bei Schwangerschaftsabbrüchen auf Wunsch – also im Rahmen der Beratungsregel nach §218a – auch ein gewisser Zeitdruck: Der Abbruch muss innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen erfolgen. Zudem ist eine verpflichtende Schwangerschaftskonfliktberatung vorgeschrieben. Zwischen dieser Beratung und dem Eingriff müssen mindestens drei Tage liegen. Werden diese Voraussetzungen nicht erfüllt und die Fristen nicht eingehalten, ist der gewünschte Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig und eine Versorgung findet in der Regel nicht mehr statt.
Politisch gewollte Hürden?
Eigentlich müsste gerade unter diesen rechtlichen Bedingungen eine niedrigschwellige und flächendeckende Versorgung selbstverständlich sein – selbst für jene, die an der derzeitigen rechtlichen Lage, und damit der Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen nach §218, festhalten wollen. Denn wie glaubwürdig ist ein Gesetz, das zwar formell erlaubt, in der Praxis jedoch blockiert? Tatsächlich liegt genau darin politisches Kalkül: Wenn der Zugang nicht offen verboten, aber durch strukturelle Hürden – wie fehlende ÄrztInnen, Pflichtberatung, lange Wartezeiten oder mangelnde wohnortnahe Angebote – massiv erschwert wird, bleibt der Schwangerschaftsabbruch zwar theoretisch möglich, wird aber faktisch unzugänglich. Die Verantwortung wird dabei elegant verschoben: Der Staat behauptet, das Recht bestehe, während ungewollt Schwangere real unter Druck geraten und medizinisch unterversorgt bleiben. Insofern liegt es durchaus im Interesse konservativer Kräfte, diesen unhaltbaren Zustand aufrechtzuerhalten – denn ein reibungsloser, niedrigschwelliger und flächendeckender Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen würde ja den Eindruck vermitteln, dass Abbrüche eigentlich ganz normal und gesellschaftlich akzeptiert sind. In anderen Worten: Ein erschwerter Zugang ist ganz im Sinne des Erfinders. Wenn dies nicht der Fall ist, sollten auch konservative Kräfte sich verpflichtet sehen, diese Missstände endlich anzugehen.
Wie kann es sein, dass diese Barrieren weiterhin bestehen?
In Deutschland liegt die Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung mit Schwangerschaftsabbrüchen in der Verantwortung der Bundesländer. Allerdings ist gesetzlich nicht klar definiert, was unter „ausreichender Versorgung“ genau zu verstehen ist. Dadurch ergibt sich ein großer Spielraum: Wann und in welchem Umfang Handlungsbedarf besteht, ist nicht verbindlich geregelt. Diese Unklarheiten erschweren es, gezielt gegen Einschränkungen in der Versorgung – etwa, wenn öffentliche Krankenhäuser mit katholischen Trägern fusionieren – vorzugehen. Zusätzlich erschweren länderübergreifende Probleme eine einheitliche und verlässliche Versorgungslage.
So bestehen auch nach der Aufhebung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche (§219a StGB) weiterhin Informationsbarrieren, nicht zuletzt aufgrund fortwährender Stigmatisierung [4]. Dieses Stigma betrifft auch ungewollt Schwangere selbst und stellt eine Barriere in sich dar [5]. Erschwerend kommen Personalmangel, unzureichende Aus- und Weiterbildung des medizinischen Personals, fehlende oder erschwerte Kostenübernahmen durch Krankenkassen sowie die nur begrenzte Verfügbarkeit medikamentöser Abbruchmöglichkeiten hinzu [6].
Spannend ist zudem eine repräsentative Umfrage aus dem Frühjahr 2024 im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) [7]. Diese ergab, dass über 80% der Befragten der Meinung sind, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht mehr unter Strafe gestellt werden sollten. Diese Ergebnisse spiegeln einen gesellschaftlichen Konsens und Rückhalt wider: Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung befürwortet mittlerweile eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Auf politischer Ebene wird das Thema aber weiterhin fälschlicherweise als gesellschaftlich spaltend inszeniert. Diese gezielte Instrumentalisierung ignoriert die Bedürfnisse von Betroffenen und gefährdet ihre Grundrechte.
Reform jetzt – rechtlich wie praktisch
Die oben genannten Umstände verstoßen klar gegen die Standards der Weltgesundheitsorganisation (WHO) [8]. In deren Richtlinien wird eindeutig eine vollständige Entkriminalisierung gefordert – ohne Fristen, Pflichtberatung und dreitägiger Wartepflicht. Deutschland bleibt damit hinter internationalen Standards zurück, während ungewollt Schwangere nach wie vor auf rechtliche Hürden, Stigmatisierung und ungleich verteilte Versorgungsangebote treffen. Eine umfassende Reform ist damit geboten – sowohl auf gesetzlicher Ebene als auch in der praktischen Versorgung. Der Zugang zum Schwangerschaftsabbruch muss flächendeckend gewährleistet und abgesichert werden, um die körperliche Selbstbestimmung, die Rechte sowie die Gesundheit der Betroffenen zu wahren.
[1] https://www.giordano-bruno-stiftung.de/meldung/volz-schluss-mit-religioesen-vorschriften
[2] https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/schwangerschaftsabbrueche-in-flensburg-wie-geht-es-weiter,schwangerschaftsabbruch-108.html
[3] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/studien-ungewollte-schwangerschaft-veroeffentlicht.html
[4] Kolandt A, Michl S & Faissner M. Understanding structural barriers to abortion care under the counselling regulation in Germany: results of a qualitative interview study. BMJ Sexual & Reproductive Health Published Online First: 26 August 2025
[5] Ebd.
[6] Ebd.
[7] https://www.bmbfsfj.bund.de/resource/blob/246478/9b685f150c5734ef76efa909234f9285/umfrage-reproduktive-selbstbestimmung-data.pdf