Kein Schritt näher, aber ein Schritt weiter für Frauenrechte
 
                                    Die elektronische Aufenthaltsüberwachung- wirksamer Schutz bei häuslicher Gewalt?
Mit dem Inkrafttreten der Istanbul-Konvention im Jahr 2018 und der Verabschiedung des Gewalthilfegesetzes 2025 wurden in Deutschland wesentliche Grundlagen für den staatlichen Schutz von Frauen vor Gewalt geschaffen. Die seit Jahren steigenden Zahlen von häuslicher und sexualisierter Gewalt zeigen jedoch, dass nach wie vor erheblicher Bedarf an Präventions- und Interventionsmaßnahmen besteht.
Der Einsatz der elektronischen Fußfessel nach dem spanischen Modell kann ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Sicherheit und Geschlechtergerechtigkeit sein. Bisher wird sie nur in Sachsen eingesetzt. Hessen hat die elektronische Fußfessel 2024 eingeführt (HMdJ 2025). Die bundesweite Einführung ist in einem kürzlich vorgelegten ReferentInnenentwurf zur Reform des Gewaltschutzgesetzes auch angedacht.
Die elektronische Aufenthaltsüberwachung funktioniert aber nur als Teil eines ganzheitlichen Ansatzes und in Kombination mit ergänzenden Maßnahmen, wie Täterarbeit, Fallkonferenzen und Risikoanalysen. Eine wichtige Voraussetzung für eine effiziente Umsetzung ist aber auch die verpflichtende und flächendeckende Fortbildung von Mitarbeitenden der Polizei, Behörden, Justiz und Staatsanwaltschaft zu häuslicher Gewalt. Denn nur wenn deren komplexen Dynamiken und Ausprägungen an den entscheidenden Stellen erkannt und verstanden werden, funktionieren Interventionsmaßnahmen wie die elektronische Aufenthaltsüberwachung und damit der wirksame Schutz von Frauen und ihren Kindern.
Tödliche Lücken beim Gewaltschutz
Derzeit stützen sich Behörden bei einer potenziellen Gefährdungslage im Kontext häuslicher Gewalt vor allem auf Kontakt- und Annäherungsverbote sowie Aufenthaltsverbotszonen (BMBFSFJ 2024). Diese Maßnahmen greifen jedoch häufig zu kurz. Zum einen, weil die Gefährdungseinschätzung durch die zuständigen Stellen häufig unzureichend oder fehlerhaft ist: Täter werden nicht als solche erkannt, Betroffenen wird nicht immer geglaubt, und Bedrohungssituationen werden unterschätzt. Zum anderen, weil die Einhaltung dieser Auflagen in der Praxis nur selten konsequent überprüft wird. Immer wieder kostet diese Nachlässigkeit Frauen das Leben. Gleichzeitig wird häusliche Gewalt nicht ausreichend sanktioniert. Im Schnitt erfolgt nur bei etwa 12 Prozent der Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz eine Verurteilung (Frauenhauskoordinierung 2024). Es entsteht der Eindruck, dass Gewalt gegen Frauen toleriert und Täter geschützt werden.
Der aktuelle ReferentInnenentwurf zur Reform des Gewaltschutzgesetzes ist daher zwar begrüßenswert- immerhin sieht er höhere Strafen bei Verstößen gegen Schutzanordnungen vor, sowie den bundesweiten Einsatz der elektronischen Fußfessel und die Anordnung von Täterarbeit vor (BMJV 2025). Tritt die Gesetzesänderung in Kraft, kann das Risiko von Verstößen gegen des Gewaltschutzgesetz mit hoher Wahrscheinlichkeit gesenkt werden. Das hat sich bereits in Spanien gezeigt. Allerdings erfordert die Prävention und Bekämpfung von häuslicher Gewalt einen ganzheitlichen Ansatz, wie es das „Spanische Modell“ auch vorsieht (Deutsches Institut für Menschenrechte 2025).
Das „Spanische Modell“
In Spanien wird die elektronische Fußfessel seit 2009 erfolgreich zur Überwachung von gewalttätigen (Ex-)Partnern eingesetzt. Die Technologie ermöglicht die ständige Übermittlung von GPS-Daten: Wenn sich ein Täter einer gefährdeten Frau nähert, werden sowohl die Polizei als auch die Betroffene in Echtzeit gewarnt. Auf diese Weise können gefährliche Situationen und zufällige Begegnungen frühzeitig verhindert werden. Bei einem Verstoß gegen das Annäherungsverbot kann der Täter zudem zweifelsfrei zur Verantwortung gezogen werden. Seit der Einführung dieses Systems wurden in Spanien rund 13.000 Fälle mittels GPS-Überwachung betreut – und kein einziger dokumentierter Femizid ist unter den überwachten Fällen bekannt geworden. Dieses Modell gilt daher als bemerkenswert erfolgreich (Dlf 2025).
Für die effektive Umsetzung ist jedoch eine leistungsfähige Infrastruktur entscheidend, die Spanien explizit fördert. Eine qualifizierte Gefährdungsanalyse setzt die enge Zusammenarbeit verschiedener Behörden und Hilfsstellen voraus. Im Zentrum stehen geschulte Ermittlerinnen und Ermittler, die in der Lage sind, Gewaltkontexte differenziert zu erkennen und einzuschätzen. Dafür sind regelmäßige Fortbildungen und Sensibilisierungstrainings unverzichtbar (Servicestelle Wegweiser 2025, DIE ZEIT 2025). Dass Technik allein nicht genügt, zeigen die 49 Femizide, die Spanien 2024 trotz aller Maßnahmen verzeichnete – meist in Fällen, in denen RichterInnen die Gefahr zuvor falsch eingeschätzten (Ministerio de Igualdad 2025).
Sind elektronische Fußfesseln die Lösung?
Der Erfolg des „Spanischen Modells“ zeigt deutlich, dass die Einführung elektronischer Fußfesseln auch in Deutschland ein wirksames Instrument zum Schutz von Frauen darstellen kann. Die Maßnahme ist technisch umsetzbar, rechtsstaatlich vertretbar und kann zu einem spürbaren Rückgang der Gewaltrate beitragen. Allerdings darf die elektronische Fußfessel nicht als alleinige Lösung betrachtet werden. Sie muss Teil eines umfassenden Maßnahmenpakets sein, das auf die strukturellen Ursachen geschlechtsspezifischer Gewalt zielt – insbesondere auf patriarchale Machtverhältnisse, gesellschaftliche Stereotype und institutionelle Versäumnisse (Servicestelle Wegweiser 2025, DIE ZEIT 2025).
Zu einem wirksamen Schutz gehören daher:
- flächendeckende Täterarbeit und Präventionsprogramme,
- verpflichtende Fortbildungen für Polizei, Justiz und Staatsanwaltschaft zu geschlechtsspezifischer Gewalt,
- die Ausweitung von Opferhilfestellen und Schutzräumen,
- sowie eine enge Zusammenarbeit zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen AkteurInnen (Servicestelle Wegweiser 2025, DIE ZEIT 2025).
Nur durch ein solches ganzheitliches Vorgehen kann Deutschland seiner Verpflichtung aus Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes – dem Recht auf Leben und körperliche wie psychische Unversehrtheit (bpb 2022) – tatsächlich gerecht werden.
Ein Signal für Sicherheit und Gerechtigkeit
Die bundesweite Einführung elektronischer Fußfesseln für Gewalttäter gegen Frauen ist kein Allheilmittel, aber ein entscheidender Schritt hin zu mehr Sicherheit, Prävention und Verantwortlichkeit. Sie sendet ein klares Signal: Gewalt gegen Frauen wird nicht länger toleriert – sie wird erkannt, verhindert und konsequent sanktioniert. Deutschland ergänzt damit bestehende rechtliche Instrumente um moderne technische Mittel, um das Leben und die Würde von Frauen wirksam zu schützen. Gerechtigkeit bedeutet dabei auch, Verantwortung dorthin zu verlagern, wo sie hingehört.
Beim „Spanischen Modell“ muss endlich nicht mehr die Frau darauf achten, dass sie dem Täter nicht zu nahekommt. Elektronische Fußfesseln machen es möglich, die Gewalttäter stärker in die Pflicht zu nehmen und die Einhaltung gerichtlicher Auflagen zu überwachen. Gleichwohl bleibt auch diese Maßnahme, selbst als Teil eines ganzheitlichen Ansatzes, eine Form der Symptombekämpfung. Um häusliche Gewalt langfristig zu verhindern, müssen die Ursachen in den Blick genommen werden. Nur durch umfassende Aufklärungsarbeit, insbesondere in Bildungseinrichtungen, über geschlechtsspezifische Gewalt und tradierte Rollenbilder lässt sich ein nachhaltiger Wandel erreichen. So kann eine Gesellschaft entstehen, in der Gleichberechtigung und Respekt nicht nur rechtlich garantiert werden, sondern auch gelebte Realität sind.
Quellen
Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) (2024): Mehr Schutz bei häuslicher Gewalt. Informationen zum Gewaltschutzgesetz. Verfügbar unter: https://www.bmbfsfj.bund.de/bmbfsfj/service/publikationen/mehr-schutz-bei-haeuslicher-gewalt-81936
Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) (2024): Elektronische Aufenthaltsüberwachung und verpflichtende soziale Trainingskurse zum Schutz vor häuslicher Gewalt: Bundesministerium der Justiz veröffentlicht Gesetzentwurf. Verfügbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/1202_GewaltschutzG.html
Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) (2025): Elektronische Fußfesseln und Anti-Gewalt-Trainings zum Schutz vor häuslicher Gewalt: BMJV legt Gesetzentwurf vor. Verfügbar unter: https://www.bmjv.de/SiteGlobals/Forms/Gesetzgebungsverfahrensuche/Gesetzgebungsverfahren/Gesetzgebungsverfahrenssuche_Formular.html
Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) (2022): einfach POLITIK. Lexikon. Verfügbar unter: https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/lexikon-in-einfacher-sprache/249952/koerperliche-unversehrtheit
Deutsches Institut für Menschenrechte (2025): Stellungnahme zur geplanten Änderung des Gewaltschutzgesetzes. Verfügbar unter: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/aktuelles/detail/stellungnahme-zu-geplanten-aenderungen-des-gewaltschutzgesetzes
Deutschlandfunk (Dlf) (2025): Fußfessel nach dem spanischen Modell wird in Deutschland erstmalig angewendet. Verfügbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/spanien-sexualisierte-gewalt-frauen-zustimmungsgesetz-100.html#konkrete-schutzmassnahmen-spanische-fussfessel-und-viogen
Die Tageszeitung (taz) (2025): Schutz bei Partnerschaftsgewalt. Fesseln sollen Frauen retten. Verfügbar unter: https://taz.de/Schutz-bei-Partnerschaftsgewalt/!6074473
DIE ZEIT (2025): Das vermeintliche Wundermittel gegen Femizide. Verfügbar unter: https://www.zeit.de/gesellschaft/2025-06/fussfessel-gewalt-gegen-frauen-schutz-5vor8
Frauenhauskoordinierung e.V. (2024): Stellungnahme von Frauenhauskoordinierung e.V.
zum Referentenentwurf eines „Ersten Gesetzes zur Änderung des Gewaltschutzgesetzes“ vom 02.12.2024. Verfügbar unter: https://www.frauenhauskoordinierung.de/fileadmin/redakteure/Publikationen/Stellungnahmen/2024-12-11_FHK_Stllgn_GesetzE_BMJ_GewSchG_Fussfessel_Taeterarbeit_fin.pdf
Hessisches Ministerium der Justiz und für den Rechtsstaat (HMdJ) (2025): Fußfessel nach dem spanischen Modell wird in Hessen erstmals angewendet. Verfügbar unter: https://justizministerium.hessen.de/presse/fussfessel-nach-dem-spanischen-modell-wird-in-hessen-erstmals-angewendet
Ministerio de Igualdad (2025): Delegación del Gobierno contra la Violencia de Género. Verfügbar unter: https://violenciagenero.igualdad.gob.es/violenciaencifras/victimasmortales/fichamujeres
Servicestelle Wegweiser (2025): Das “Spanische Modell” ist mehr als nur die Fußfessel. Verfügbar unter: https://www.wegweiserbln.de/aktuelles/das-spanische-modell-ist-mehr-als-nur-die-fufessel