Kooperationsprojekt in der Ukraine nach über drei Jahren beendet

Kurz nach Ausbruch des russischen Angriffskriegs am 24. Februar 2022 stand für TERRE DES FEMMES (TDF) fest: wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wir müssen Frauen und Mädchen in der Ukraine unterstützen! Über Netzwerkkontakte nahm TDF Kontakt zu der ukrainischen Frauenrechtsorganisation Misto Dobra (engl. City of Goodness, dt. Stadt der Güte) auf.
Misto Dobra war einst als ein Schutzhaus für Frauen und v.a. Mütter in Not in der westukrainischen Stadt Czernowitz entstanden, mit 27 Plätzen in einem einzigen Gebäude. Nach der ersten Angriffswelle strömten unzählige Menschen, insbesondere Frauen und Kinder, v.a. aus der Ostukraine und Kiew, in den noch sicheren Westen des Landes, um dort Schutz zu suchen oder in ein sicheres Nachbarland weiterzureisen. Die vorhandenen Kapazitäten reichten bei weitem nicht aus. Binnen kürzester Zeit gelang es Misto Dobra mit der Unterstützung von TDF, weiteren Schutzraum zu schaffen und seine Angebote zu erweitern. Bis Mitte August 2025 konnte Misto Dobra mit finanziellen Mitteln von TDF und dem Hamburger Unternehmen Marquard & Bahls in Höhe von fast 365.000 Euro insgesamt vier Projekte umsetzen. Ermöglicht wurden zwei dieser Projekte ausschließlich mit den Spenden unserer UnterstützerInnen – dafür den allerherzlichsten Dank! Anfang August 2025 ist die von Anfang an als temporär angelegte Kooperation nun zu Ende gegangen.
Blicken wir zurück - was konnte mit den Projekten in der Ukraine erreicht werden?
- Zu Projektbeginn gab es ein Schutzhausgebäude. Heute zählt das Schutzhausareal sechs Gebäude. Deren Bau und Ausstattung wurde u.a. über die o.g. Projekte finanziert. Das Areal umfasst vor allem Schutzhäuser mit Büro-, Wirtschafts-, Wohn- und Gemeinschaftsräumen (z.B. Sport-, Spiel- und Therapieräumen), einschließlich einem voll ausgestatteten Bombenschutzkeller, ein Rehabilitationszentrum, einschließlich einem Raum für chronisch kranke Kinder, die permanent Sauerstoffzufuhr benötigen oder isoliert werden müssen, ein Kinderhospiz, eine Näherei-Werkstatt, ein Gebäude, in dem Hunde für die Hundetherapie untergebracht sind, und ein Lager. Zudem gibt es mehrere Spielplätze, einen Garten, ein Gartenhaus, das auch als Therapieraum für die Hundetherapie genutzt wird, sowie einen spirituellen Ruhe-Ort inklusive einer kleinen Kapelle.
- Bis zu 350 schutzsuchende Frauen, Kinder, darunter auch viele Waisenkinder, und ältere Menschen wurden jederzeit mit frischen Lebensmitteln, hochwertigen Medikamenten, erforderlichen Hygieneartikeln und weiteren lebenswichtigen Gütern versorgt. Der Betrieb der Schutzhäuser konnte zudem durch die Übernahme der Gehälter etlicher Fachkräfte, der laufenden Kosten (z.B. für Strom/Generatoren, Wasser und die Müllabfuhr) und der Kosten für Verbrauchsgüter sichergestellt werden. Ziel der humanitären und strukturellen Hilfen war neben der Deckung der Grundbedürfnisse der Schutzsuchenden insbesondere, eine Atmosphäre der Sicherheit, Stabilität und Hoffnung zu schaffen.
- Ein dringend benötigter, gebrauchter Kleinbus konnte beschafft werden. Der Kleinbus ermöglichte den Transport der Frauen zu Ämtern oder Vorstellungsgesprächen sowie der Kinder in Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser. Auch einige Freizeitausflüge, z.B. ins Schwimmbad, wurden so durchführbar. Dort konnten sich die beteiligten Frauen und Kinder erholen, was ihre Genesung und Resilienz beförderte.
- Humanitäre Hilfspakete von Misto Dobra erreichten auch die direkt kriegsbetroffenen Gebiete. Insbesondere 2022 und 2023 verschickte oder transportierte Misto Dobra in regelmäßigem Rhythmus Pakete mit Hilfsgütern in die am stärksten von Angriffen betroffenen Gebiete des Landes, darunter Mykolajiw, Dnipro und Charkiw. Fast 5.000 Menschen in der ganzen Ukraine konnten so monatlich erreicht werden.
- Misto Dobra versorgte neun Krankenhäuser u.a. in Czernowitz und Kiew, die meisten fokussiert auf Frauen- und Kindergesundheit, aber auch Geburtskliniken, die Frauen prä- und postnatal betreuen, mit medizinischen Verbrauchs- und Ausstattungsgütern, grundlegenden Medikamenten, Lebensmitteln und Wasser.
- Zentrale Frauenrechtsarbeit von Misto Dobra mit langfristiger Wirkung, allen voran die rechtliche, psychologische und soziale/berufliche Beratung sowie die weiterführende Unterstützung von Frauen und v.a. Müttern in Not, wurde gefördert – durch Finanzierung der Gehälter geschulter Fachkräfte, von PsychologInnen bis hin zu PädagogInnen, die die BewohnerInnen auf ihrem Weg aus der Gewalt oder bei der Verarbeitung traumatisierender Kriegserlebnisse unterstützten.
- Bedarfsorientiert wurden einzelne Schutzhausbewohnerinnen wirtschaftlich gestärkt, konkret durch die Ausstattung mit einem Laptop und/oder die Teilnahme an einem Berufsbildungskurs.
- Im März 2024 konnte TDF eine Dienstreise nach Czernowitz realisieren, um sich auch persönlich von den Ergebnissen und Wirkungen der o.g. Projekte zu überzeugen. TDF hatte Gelegenheit, ausführlich mit dem Misto Dobra-Team zu sprechen, sowie mit zahlreichen Frauen, Kindern und älteren Menschen, die zu der Zeit in den Schutzhäusern lebten. Auch die Beratungs- und Therapieangebote sowie eine Hilfslieferung konnte TDF begleiten. Besonders beeindruckt zeigte sich TDF von der raschen Anpassungs- und Handlungsfähigkeit von Misto Dobra, die in kürzester Zeit zusätzlich benötigte Schutzstrukturen aufgebaut hatten und dabei hohen Qualitätsstandards in der Beratung, medizinischen Behandlung und Förderung der Schutzsuchenden gerecht wurden.
Blicken wir nach vorne - wie geht es für Misto Dobra weiter?
Der Krieg in der Ukraine dauert an und wurde jüngst sogar weiter intensiviert. Von wenigen Ausnahmen abgesehen blieb Czernowitz bislang von Drohnen-, Bomben- und anderen Direktangriffen glücklicherweise verschont, auch wenn dort häufig Luftalarm zu hören ist und die Bombenschutzkeller regelmäßig genutzt werden.
TDF war ursprünglich von einer Unterstützung für ein Jahr ausgegangen, letztlich wurden drei Jahre und fünf Monate daraus. Misto Dobra war von Anfang an sehr aktiv und erfolgreich in der Akquise von Spenden und Fördermitteln. Als TDF zu Besuch in der Ukraine war, arbeitete Misto Dobra mit rund 30 FörderpartnerInnen aus der Ukraine und dem Ausland zusammen, viele davon länger- oder langfristige PartnerInnen. Zudem unterhält Misto Dobra (v.a. die Gründerin und Leiterin Marta Levchenko) starke Netzwerke in und über Czernowitz hinaus, und betreibt täglich transparente Medien-, v.a. Social Media-Arbeit, die viel Aufmerksamkeit generiert.
Für TDF war es eine Ehre, Misto Dobra und durch sie zahlreiche Frauen, Kinder und ältere Menschen in der Ukraine unterstützt zu haben, und wir sind überzeugt davon, dass Misto Dobra ihre unverzichtbare Arbeit erfolgreich fortsetzen werden. Auch wollen sie den von ihnen verfolgten, umfassenden Schutzansatz - wirksame Hilfe „unter einem Dach“ für einen tatsächlichen Ausstieg aus der Gewalt oder Notsituation - spätestens nach Kriegsende auf weitere Regionen in der Ukraine ausdehnen.
Wer eigenständig an Misto Dobra spenden möchte, kann dies hier tun.
Derzeit fließen Spenden nach Aussagen von Misto Dobra v.a. in das Rehazentrum, das Kinderhospiz und in die Finanzierung der für sie tätigen Fachkräfte.
Was hat TDF in Deutschland für aus der Ukraine geflüchtete Frauen und Mädchen getan?
Um die in Deutschland ankommenden ukrainischen Frauen, Kinder und Jugendlichen vor sexualisiertem Missbrauch, Prostitution und Ausbeutung durch Menschenhandel zu warnen und Informationen zum eigenen Schutz an die Hand zu geben, entwickelten TDF und der Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland einen gemeinsamen Flyer. Dieser wurde an einschlägigen Ankunftsorten, u.a. an Bahnhöfen, Erstaufnahmestationen und in Notunterkünften, verteilt.
Zudem formulierte TDF Handlungsempfehlungen an die Justiz- und InnenministerInnen und bewertete die Reaktion der verschiedenen Bundesländer auf diese. TDF veröffentlichte relevante Fachartikel, v.a. zur Datenlage im Bereich Zwangsprostitution und Menschenhandel sowie zur Koordinierung von Präventionsmaßnahmen in Deutschland.
Nicht zuletzt wurde TDF in die unabhängige Steuerungsgruppe zur Begleitung einer Studie der Europäischen Grundrechteagentur zur Betroffenheit von aus der Ukraine geflüchteten Frauen durch geschlechtsspezifische Gewalt, Menschenhandel sowie sexualisierte- und Arbeitsausbeutung in Deutschland, Polen und Tschechien berufen. Die Studie soll im zweiten Halbjahr 2025 veröffentlicht werden.
TDF verurteilt weiterhin aufs Schärfste den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, der einen inakzeptablen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt und unverzüglich beendet werden muss.
Zum 31. Mai 2025 hat Das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte insgesamt 46.085 zivile Opfer, darunter 13.341 Tote und 32.744 Verletzte, während der russischen Invasion in der Ukraine bestätigt, wies jedoch darauf hin, dass die tatsächlichen Zahlen sehr wahrscheinlich höher sein könnten.
TDF zeigt sich weiterhin uneingeschränkt solidarisch mit den Menschen in der Ukraine, die von Krieg, Vertreibung, Flucht und weiteren Kriegsfolgen betroffen sind, und mit den mutigen Menschen in Russland, die ein Ende des Krieges gegen die Ukraine fordern.