Recherche zu mutmaßlichen (versuchten) „Ehren“-Morden in Deutschland – Mindestens 25 Opfer in den Jahren 2023 und 2024

Anlässlich des Todestags von Hatun Sürücü am 07. Februar veröffentlicht TERRE DES FEMMES alljährlich eine Übersicht mutmaßlicher (versuchter) „Ehren“-Morde in Deutschland.
2025 jährt sich der Todestag von Hatun Sürücü zum 20. Mal. TERRE DES FEMMES veranstaltet deshalb die Online-Podiumsdiskussion "Mehr als nur eine Frau - Gewalt im Namen der Ehre: verstehen, vorbeugen, verhindern."
Warnzeichen erkennen
„Ehren“-Mord ist kein juristischer Begriff und die Recherche kann kein vollständiges Bild liefern. Doch möchte TERRE DES FEMMES mit den Ergebnissen auf mögliche Muster und „Warnzeichen“ im Vorfeld aufmerksam machen, um an die Etablierung verbesserter Präventions- und Opferschutzmaßnahmen zu appellieren.
Die vorläufigen Zahlen[1] für 2024 ergeben 6 Opfer mutmaßlicher „Ehren“-Morde: 3 Personen starben, 3 überlebten die Tat. Von den 6 Opfern sind 2 männlich und 4 weiblich.
Für 2023 ergibt sich abschließend folgendes Bild:
- 19 Personen fielen mutmaßlichen „Ehren“-Morden oder deren Versuche zum Opfer.
- 13 davon überlebten die Tat nicht.
- Es waren hauptsächlich Mädchen und Frauen von sog. (versuchten) Ehrenmorden betroffen (15 von 19 Opfern).
Wiederkehrende Muster
Die Muster decken sich dabei mit den Rechercheergebnissen der letzten Jahre: Die Sexualität der Frauen im weitesten Sinne wird stark reglementiert. Sie haben sich in jeglicher Hinsicht „keusch“ zu verhalten und dürfen weder vor- noch außereheliche sexuelle Erfahrungen sammeln. Diese „Keuschheit“ bezieht sich auf ihr Verhalten allgemein. Gerüchte über einen angeblichen „Fehltritt“ können für sie – und ihren vermeintlichen „Liebhaber“ - lebensgefährlich werden. Ebenso kann eine Trennung, und sei sie seitens der TäterInnen nur vermutet, für Frauen im äußersten Fall tödlich enden. In streng patriarchalen Strukturen gelten die Frauen als „Besitz“ des Mannes – zunächst des Vaters, dann des Ehemanns. Ein Ausbrechen aus diesen starren Rollenbildern kann für sie lebensgefährlich werden. Auffällig ist auch, dass die Trennung in den aufgeführten Fällen nicht selten bereits Jahre zurück liegt, das Risiko Opfer eines sog. Ehrenmordes zu werden, verjährt damit nicht. Oft sind auch mehrere Personen in die Tat oder deren Vorbereitung involviert.
Fallbeispiel "Ehren"-Mord
Ein Fall illustriert anschaulich den sozialen Druck, eine vermeintliche Verletzung der Familienehre gewaltvoll wiederherzustellen: Im August 2023 sollen zwei Onkel (37 und 44 Jahre) den Tod ihrer Nichte gefordert haben, weil sie im Internet auf „pornographisches Material“ mit ihr gestoßen seien. Daraufhin hätten sie über einen längeren Zeitraum Druck auf die Familie der Nichte ausgeübt, von konkreten Aufforderungen an den Vater der Nichte, seine Tochter umzubringen ist genauso zu lesen wie von Todesdrohungen an die Schwester, sollte sie weiterhin zu ihrer Schwester halten.[2]
Jahrelanges Martyrium
Die recherchierten Fälle zeugen zudem häufig von einem jahrelangen Martyrium der Frauen: Häusliche Gewalt, Vergewaltigung in der Ehe, Erniedrigungen – und nicht zuletzt die Vorgabe, wie eine Frau sich zu verhalten habe und wie nicht. Dies verdeutlicht wieder einmal: „Ehren“-Morde sind nur die Spitze des Eisbergs. Gewalt an Frauen hat viele Gesichter, wenige davon werden für Außenstehende sichtbar. Alle, die mit potenziell Betroffenen und Bedrohten Kontakt haben, sollten über die spezifischen Gewaltformen und „Warnzeichen“ sensibilisiert sein. Denn die Fälle zeigen auch, dass allein die Vermutung, die Frau habe sich – in den Augen der TäterInnen - „falsch“ verhalten, lebensgefährlich werden kann.
Präventionsarbeit und Opferschutz müssen daher das jeweilige Gefährdungsrisiko im Blick behalten und beachten, dass bei Gewalt im Namen der Ehre häufig mehrere Personen Gewalt ausüben und die Betroffenen nicht unbedingt mit Unterstützung aus dem familiären Kreis rechnen können.
Hier finden Sie die Recherchen zu mutmaßlichen versuchten oder vollzogenen „Ehren“-Morden der letzten Jahre.
Hierfinden Sie eine ausführliche Begriffsdefinition zu „Femizid oder ´Ehren´-Mord?“.
[1] Oft vergehen mehrere Monate nach der Tat, bis nähere Erkenntnisse zu den (möglichen) Motiven vorliegen und auch dann erst fundiertere Berichterstattung zu finden ist. Über manche Fälle wird man demnach 2025 mehr erfahren, auch wenn die Taten bereits 2024 stattfinden.
[2] Vgl. TERRE DES FEMMES: Recherche. Opfer eines mutmaßlichen „Ehren“-Mordes aus dem Jahr 2023, Berlin 2025, S. 10/11.