Stellungnahme von TERRE DES FEMMES zum Referentenentwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gewaltschutzgesetzes des Bundesministeriums der Justiz
Sehr geehrter Herr Bundesminister Wissing,
TERRE DES FEMMES (TDF) begrüßt den Referentenentwurf eines ersten Gesetzes zur Änderung des Gewaltschutzgesetzes. Im vergangenen Jahr 2023 waren 180.715 Mädchen und Frauen in Deutschland von häuslicher Gewalt betroffen. Das Dunkelfeld ist darüber hinaus enorm. Schätzungen zufolge werden höchstens 20 Prozent der Fälle häuslicher Gewalt gemeldet.[1] TDF fordert seit langem eine elektronische Aufenthaltsüberwachung (EAÜ), sowie die regelmäßige Anordnung von Täterarbeit in Fällen von häuslicher Gewalt und unterstützt daher den vom Bundesjustizministerium vorgelegten Referentenentwurf, der die Verankerung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung, sowie eine Rechtsgrundlage für die Verpflichtung zur Teilnahme an sozialen Trainingskursen normiert, um Kontakt- und Annäherungsverbote effektiv durchzusetzen und somit von Gewalt betroffene Frauen besser zu schützen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind aus unserer Sicht geeignet, um Gewaltprävention deutlich zu verbessern. TDF befürwortet außerdem, dass beide Maßnahmen über den Gewaltschutz hinaus auch eine Verschiebung der Verantwortung zum Gewalttäter beinhalten, die Betroffene entlasten kann, aber auch eine gesellschaftliche Signalwirkung hat, die zeigt, dass Täter Konsequenzen zu tragen haben.
1. Täterarbeit
TDF begrüßt das Ansinnen des Referentenentwurfs Täterarbeit in Form von sozialen Trainingskursen in das Gewaltschutzgesetz aufzunehmen und damit auf eine rechtliche Grundlage zu stellen. Täterprogramme helfen Tätern die Ursachen ihres gewalttätigen Verhaltens zu erkennen, Verantwortung dafür zu übernehmen und alternative Handlungsweisen zu entwickeln. Studien zeigen, dass strukturierte und qualitativ hochwertige Täterprogramme Rückfälle reduzieren können.[2] Durch die Reduktion gewalttätiger Handlungen steigt die Sicherheit für die Betroffenen. Derzeit kommt allerdings nur ein Bruchteil der gewaltausübenden Personen in Täterarbeitseinrichtungen an. Schätzungen zufolge liegt die Zahl der Täter, die eine Täterberatung aufgesucht haben, in Deutschland jährlich im niedrigen fünfstelligen Bereich. Der überwiegende Teil der Täter sind Männer. Oft nehmen sie an den Programmen aufgrund von Anordnungen des Jugendamts, der Staatsanwaltschaft oder der Polizei teil.[3]
Präventionsprogramme für Gewalttäter sind in Artikel 16 der Istanbul Konvention (IK) vorgeschrieben. Eine rechtliche Grundlage besteht also bereits. Laut dem ersten Periodischen Bericht zur Umsetzung der IK in Deutschland des Deutschen Instituts für Menschenrechte meldeten 15 Bundesländer in Deutschland insgesamt 108 Täterarbeitseinrichtungen zu häuslicher Gewalt. In Anbetracht der oben genannten Fälle häuslicher Gewalt wird deutlich, dass das Angebot der Täterarbeitseinrichtungen in Deutschland bei weitem nicht ausreicht. Es muss daher dringend sichergestellt werden, dass entsprechend viele Plätze zur Verfügung stehen. Die Angebote müssen bundesweit flächendeckend vorhanden und gut erreichbar sein, da Gerichte sonst eher auf strafrechtliche Maßnahmen zurückgreifen. Ohne die ausreichende Finanzierung, die derzeit im Gesetzentwurf nicht vorgesehen ist, kann das Angebot nicht ausgebaut werden. Bereits jetzt sind die bestehenden Einrichtungen für Täterarbeit nicht in allen Bundesländern ausreichend finanziert (Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit e.V.).
Zudem ist es zwingend notwendig, dass Täterarbeit bei Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz verpflichtend angeordnet wird. Pro Täterarbeitseinrichtung waren in den Jahren 2020-2022 durchschnittlich zwischen 48,5-57,2 Täter häuslicher Gewalt in Beratung, von denen nicht alle Teilnehmenden die Beratung abschließen (Deutsches Institut für Menschenrechte 2024). Um eine häufigere Anordnung durch Gerichte zu erreichen, müssen RichterInnen und Staatsanwaltschaften ausreichend für häusliche Gewalt sensibilisiert und weitergebildet werden, da Täterarbeit sonst bei den Gerichten nicht priorisiert wird. Wichtig ist auch, dass Täterprogramme mit Opferschutzmaßnahmen, wie Gefährdungsanalysen und der elektronischen Aufenthaltsüberwachung, Beratung, Wegweisung etc., verknüpft werden, um die Sicherheit und Rechte der Betroffenen zu gewährleisten. Auch das schreibt die Istanbul Konvention vor.
Zusätzlich zum Schutz der Betroffenen, muss auch der Kinderschutz in den Fokus genommen werden. In §1626 Abs. 3 Satz 1 BGB wird festgelegt, dass zum Wohle des Kindes in der Regel der Umgang mit beiden Eltern gehört. Dieses Gesetz wird leider regelmäßig auch bei Partnerschaftsgewalt angewendet obwohl bei Vätern, die Partnerschaftsgewalt ausüben, auch ein erhöhtes Risiko der Kindeswohlgefährdung besteht. TDF fordert, dass zum Schutz von Müttern und Kindern der Umgang mit dem gewaltausübenden Elternteil bei Gewalttaten für sechs Monate ausgesetzt und nur nach Abschluss eines Täterprogramms und der Etablierung einer Kommunikationsebene mit der Mutter wieder aufgenommen wird. Außerdem müssen Täterprogramme auch auf den Aspekt Kinderschutz spezialisiert sein, wenn der Täter auch gleichzeitig der Vater eines Kindes/von Kindern ist (Liel 2017, S. 66).
2. Elektronische Aufenthaltsüberwachung
Die elektronische Aufenthaltsüberwachung (EAÜ) ist ein geeignetes Instrument zur Umsetzung von Artikel 51 und Artikel 53 der Istanbul Konvention. 2023 wurden 938 Mädchen und Frauen Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten. 360 Frauen und Mädchen wurden Opfer vollendeter Taten. Oft gehen den Gewalttaten ein Kontakt- und Annäherungsverbot voraus, dessen Einhaltung nicht überprüft wurde. Die EAÜ kann Betroffene in solchen Fällen schützen und ermöglicht ihnen ein Leben, ohne ständig nach dem Gewalttäter Ausschau halten zu müssen. Spanien hat mit dieser Form der Überwachung große Erfolge erzielt: bis heute wurde keine Frau durch einen Täter, der überwacht wurde, getötet.
Um den erfolgreichen Einsatz der elektronischen Aufenthaltsüberwachung zu garantieren, müssen allerdings Polizei und Behörden ausreichend geschult werden, um in gefährlichen Situationen angemessen reagieren zu können. Eine weitere Voraussetzung ist die Möglichkeit der verlässlichen, auf den deutschen Kontext angepasste Gefährdungsanalyse. Derzeit gibt es in Deutschland kein einheitliches Verfahren zur Risikobewertung. Die genutzten Tools sind veraltet, nicht präzise genug und Behörden und Institutionen nicht ausreichend geschult, um die systematische und korrekte Anwendung sicherzustellen.[4] Es besteht die Gefahr, dass hochrisikohafte Fälle unerkannt bleiben und Schutzmaßnahmen wie die EAÜ nicht zur Anwendung kommen.
Zusätzlich setzt sich TDF auch für Straferhöhungen ein, da sie der Normensetzung dienen und signalisieren, dass häusliche Gewalt gesellschaftlich nicht akzeptiert wird. Höhere Strafen können Täter außerdem länger aus dem sozialen Umfeld der Opfer entfernen, was den Betroffenen mehr Zeit gibt sich zu stabilisieren und Unterstützung zu erhalten. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass auch die bereits bestehenden Rechtsgrundlagen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt derzeit in der Rechtspraxis noch nicht durchgängig zufriedenstellend angewendet werden, wie beispielsweise die in Artikel 46 der Istanbul-Konvention aufgeführten erschwerenden Umstände einer Straftat. Das liegt unter anderem auch an dem fehlenden Bewusstsein für die Dynamiken häuslicher Gewalt in der Justiz. Auch diesbezüglich fordert TDF verpflichtende Fort- und Weiterbildungen für RechtsanwenderInnen, um eine adäquate Anwendung der bestehenden Gesetze zu ermöglichen (GREVIO 2022).
Beachtet werden muss zudem, dass Partnerschaftsgewalt oft nach der Trennung fortgesetzt wird und die damit einhergehende Gefährdung für Mutter und Kind nach der Trennung der Eltern weiterbesteht. In 90 Prozent der Fälle, in denen in einer Beziehung Partnerschaftsgewalt erfolgte, kommt es auch zu Nachtrennungsgewalt[5], die oft über Umgangskontakte ausgeübt wird. Laut einer Studie des BMFSFJ haben 70 Prozent der Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen waren und deren Kinder Kontakt zum Vater haben, bei Besuchen oder Übergaben erneut Misshandlungen erlebt. Bei den Kindern erlebten 58 Prozent während der Umgangszeiten mit dem nicht-sorgeberechtigten Elternteil Gewalt. Empirische Untersuchungen zeigen, dass gerade in der Trennungsphase das Gewalt- und Tötungsrisiko für Frauen und Kinder um ein 5-Faches höher ist[6]. In der TDF-Umfrage „Nachtrennungsgewalt und institutionelle Gewalt bei Gewaltbetroffenheit in Umgangs- und Sorgerechtsangelegenheiten“ (2024) gaben 55 Prozent der befragten Mütter an, dass ihr Ex-Partner und Vater des/der gemeinsamer/n Kindes/r Umgänge erwirkt hat, die sie für nicht sicher halten. TDF fordert, dass der Gewaltschutz von Müttern und Kindern vor und nach der Trennung priorisiert wird und Nachtrennungsgewalt nicht ausgeblendet wird.
Zur Verbesserung des Opferschutzes fordert TDF außerdem die Zusammenarbeit zwischen Gewaltberatungsstellen, Polizei und Behörden, sowie die mindestens 14- tägige Maximalfrist bei Wohnungsverweisungen. Unbedingt notwendig ist zudem die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Hilfe bei Gewalt, welcher im Gewalthilfegesetz verankert ist, das vom Bundekabinett am 27.11.24 beschlossen wurde. Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser müssen bundesweit flächendeckend ausgebaut und ausreichend finanziert werden. Derzeit können sich Frauen und ihre Kinder bei Gewaltbetroffenheit nicht darauf verlassen in einer Schutzeinrichtung unterzukommen, auch wenn sie um ihre Sicherheit, oder sogar ihr Leben fürchten. Dieser Zustand ist unhaltbar und steht im Widerspruch zu den Vorgaben der Istanbul Konvention, die in Deutschland geltendes Recht ist. Wir fordern, dass der Schutz von Frauen in Deutschland mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet und flächendeckend gewährleistet wird, entsprechend den Vorgaben der IK.
Der vorgelegte Referentenentwurf ist begrüßenswert, erfordert aber die Ergänzung weiterer Maßnahmen. Das kürzlich vorgelegte BKA-Lagebild zu geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen in Deutschland zeigt, dass Gewaltschutz aber auch Gewaltprävention unbedingt priorisiert werden müssen, damit Frauen und Mädchen langfristig sicher leben können.
Berlin, den 10.12.2024
[1]BKA 2020. Sicherheit und Kriminalität in Deutschland – SKiD 2020; Bundesweite Kernbefunde des
Viktimisierungssurvey.
[2] Liel, Christoph (2017): „Täterarbeit bei Partnergewalt. Auswirkungen auf das Rückfallrisiko“. In:
Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie, Jahrg.: 11, H. 1, S. 59-68.
[3] Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit e.V., Jahresbericht 2023
[4] Weißer Ring, Forum Opferhilfe 04/21 S. 20
[5] Barnett, Adrienne. 2020: „Domestic abuse and private law children cases- A literature review”,
Ministry of Justice Analytical Series, S. 20.
[6] BMFSFJ 2011: „FamFG. Arbeitshilfe zum neu gestalteten Verfahren in Familiensachen und in den
Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) bei Vorliegen häuslicher Gewalt“, S. 20.