• 18.12.2024

Vom Menschenrecht zur Ausbeutung: Menschenhandel und die Festung Europa

Am 3. Dezember 2024 trafen sich in Brüssel VertreterInnen zivilgesellschaftlicher Organisationen mit RepräsentantInnen der EU zum Civil Society Network Meeting on Trafficking in Human Beings. In diesem Jahr lag der Schwerpunkt auf der Schnittstelle von Migration und Menschenhandel.

MigrantInnen haben ein dreifach höheres Risiko von Menschenhandel betroffen zu sein

MigrantInnen, besonders Frauen und Mädchen, sind einem dreifach höheren Risiko ausgesetzt, von Menschenhandel betroffen zu werden, als Nicht-MigrantInnen.[1] Die EU vereinfacht das Problem, indem sie Menschenschmuggel bekämpfen will, um Menschenhandel zu verhindern. Das verstärkt jedoch die Verwundbarkeit von MigrantInnen, da sie in Transitländern oft ohne Unterstützung festgehalten werden. Statt nur den Schmuggel zu bekämpfen, sollte die EU sichere Migrationsrouten schaffen und die Ursachen von unfreiwilliger Migration angehen. Eine solidarische Migrationspolitik ist nötig, um die Rechte der MigrantInnen zu schützen.

Menschenhandel und Menschenschmuggel – die relevanten Unterschiede

Menschenschmuggel bezeichnet juristisch die einvernehmliche Ermöglichung der illegalen Einreise einer Person in einen Staat, typischerweise gegen Bezahlung.[2] Die Inanspruchnahme der «Dienstleistungen» von Schmuggelnetzwerken für den Transit folgt in der Regel einer bewussten Entscheidung, wenn auch aus Mangel an legalen, sicheren Alternativen. Über 90 % der MigrantInnen bezahlen Schmuggelnetzwerke für die Bewältigung ihrer Fluchtroute.[3] Im Gegensatz dazu enthält Menschenhandel ein Element des Zwangs, namentlich in Form von Gewalt oder der Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses, zum Zweck der späteren Ausbeutung.[4] Besonders gefährdet sind Frauen und Mädchen, die 88 % der Betroffenen von Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung und 60 % der Gesamtheit der von Menschenhandel Betroffenen ausmachen.[5]

In der Praxis können die Grenzen zwischen Menschenhandel und Menschenschmuggel verschwimmen. Zu Beginn erfolgt der Transit häufig mit dem Einverständnis der migrierenden Personen, doch in einer späteren Phase können sie in ausbeuterische Situationen gedrängt werden. Ein Beispiel hierfür ist, wenn MigrantInnen ihr Zielland erreichen, nur um festzustellen, dass sie die geforderten Kosten nicht abbezahlen, sondern abarbeiten müssen. Diese Entwicklung wird möglich, weil sie den Schmuggelnetzwerken oft alternativlos ausgeliefert sind und oft ohne familiäre Unterstützung, finanzielle Mittel, Ortskenntnis und offizielle Dokumente auf illegalisierten Routen unterwegs sind.

Die Simplifizierung der Problematik und die fehlgeleitete Politik der EU

Die EU simplifiziert diese Problematik in ihrer Politik massiv, indem sie der Strategie folgt, durch die Bekämpfung von Menschenschmuggel Menschenhandel verhindern zu können. auseinanderzuhalten. In der Praxis manifestiert sich ihre strategische Ausrichtung durch die Externalisierung von asylrechtlicher Verantwortung. Das umfasst die Bearbeitung von Asylanträgen außerhalb des eigenen Hoheitsgebietes, Angebote von monetären Anreizen für Nachbarländer zur Aufnahme von MigrantInnenn sowie die vollständige Verlagerung von Schutzsuchenden in Drittstaaten. Diese Vorgehensweisen führen dazu, dass MigrantInnen bewusst in Transitländern festgehalten werden, ihre Existenz nicht sichern können und ihre Situation zunehmend stigmatisiert wird – sei es durch gesellschaftliche Ausgrenzung, Kriminalisierung oder die Darstellung als Bedrohung für die aufnehmenden Länder. MigrantInnen geraten besonders dann in die Fänge von MenschenhändlerInnen, wenn sie in einer verletzlichen Lage sind und keine besseren Überlebensmöglichkeiten sehen. Es ist daher klar, dass Politiken, die ihre Vulnerabilität weiter erhöhen, das Risiko der Ausbeutung nur vergrößern und nicht effektiv reduzieren können.

Externalisierungsmaßnahmen - und weshalb sie nicht erfolgreich sind

Ein Beispiel solcher Maßnahmen sind die Border Screening Procedures, die im Rahmen der Reformen des Paktes von Asyl und Migration 2024 eingeführt wurden. Obwohl sie darauf abzielen, die Verfahren zur Bearbeitung von Asylanträgen auf EU-Ebene zu vereinheitlichen und effizienter zu gestalten[6] und damit eine fairere Asylpolitik anstreben, führen sie in der Praxis zu einem verringerten Schutz von vulnerablen Gruppen, einschliesslich Betroffener von Menschenhandel.  Die Identifikation von Betroffenen erfordert speziell geschultes Personal sowie genügend Zeit für ausführliche Befragungen und die sorgfältige Erkennung von Anzeichen für Menschenhandel. Indem nun eben jener Kontakt zwischen MigrantInnen und Grenzbehörden auf ein zeitliches Minimum reduziert wird, ist die korrekte Identifikation von Betroffenen deutlich weniger wahrscheinlich. Dieser Widerspruch von angestrebtem Ziel und tatsächlicher Auswirkung wird von NGOs kritisiert; Laut La Strada International wirken die EU-Bemühungen zur Identifikation von Menschenhandelsopfern wie ein Vorwand, um die irreguläre Einreise nach Europa zu verhindern und den Zugang zu fairen Verfahren zu verweigern. Ziel scheint es vor allem zu sein, Abschiebungen so weit wie möglich zu erleichtern.[7]

In überfüllten Auffanglagern werden MigrantInnen festgehalten und sind massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt

Neben der erschwerten Einreise versucht die EU auch, Menschen daran zu hindern, die Reise überhaupt erst anzutreten. Diese Komponente der europäischen Asylpolitik wird als Containment bezeichnet, und äußert sich unter anderem in Zahlungen der EU an Herkunfts- oder Transitländer, um dort Maßnahmen zur Eindämmung von Migration zu finanzieren. In der “Case Study on the Role of trafficking groups in European Migration Governance“[8] wird von den Auswirkungen dieser Politik in den libyschen Auffanglagern berichtet. Seit 2016 hat die EU ihre Zahlungen an die libysche Küstenwache kontinuierlich erhöht, um deren Kapazitäten beim Abfangen von MigrantInnenn und deren Unterbringung in Internierungslagern zu stärken. Während weniger MigrantInnen nach Europa einreisen und Schmuggelnetzwerke weniger aktiv sind, führt dies zu überfüllten Auffanglagern, in denen MigrantInnen festgehalten werden und massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind, auch der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft und sexueller Ausbeutung. Die Studie stellt fest, dass die kriminellen Netzwerke, die zuvor Menschenschmuggel betrieben haben, dieselben Netzwerke sind, die die Menschen nun in Lagern festhalten und ausbeuten. Weder die Identität der TäterInnen noch die der Betroffenen haben sich also durch diese Zahlungen verändert – lediglich der geografische Standort der Menschenrechtsverletzungen.

Die Situation in Libyen ist keine Ausnahmesituation. Aus Daten der Internationalen Organisation für Migration geht beispielsweise hervor, dass 80 % der Nigerianerinnen, welche 2016 von Nigeria nach Italien gereist sind, aus Asyl- und Aufnahmezentren verschwanden und europaweit zur Prostitution gezwungen wurden.[9] Salvatore Vella, stellvertretender Generalsekretär in Agrigento, Sizilien, bezeichnete diese Zentren erst kürzlich als «Lagerhaus, in denen Mädchen zwischengelagert sind[10].

Diese Fallbeispiele zeigen, dass die EU-Rechtsrahmen, die angeblich Menschenrechtsverletzungen verhindern sollen, das Problem nur verlagern und einen rechtlichen Rahmen schaffen, der Menschenhandel begünstigt oder sogar ermöglicht.

Nachhaltige Lösungsansätze für eine effektive Bekämpfung von Menschenhandel

Für die Bekämpfung des Menschenhandels braucht es also andere Maßnahmen: legale und sichere Migrationsrouten müssen geschaffen werden. Solange diese nicht oder nur marginal existieren, sind Menschen, welche ein Recht auf Asyl und Sicherheit haben, zwangsweise auf Schmuggelnetzwerke angewiesen, um dieses Recht geltend zu machen.

Des weiteren ist entscheidend, dass sich der Fokus der EU in der Migrationspolitik von der Symptombekämpfung hin zur Bearbeitung der zugrunde liegenden Push- und Pull-Faktoren in den Menschenhandel verschiebt. Push-Faktoren sind Bedingungen, die die ökonomische, politische, soziale und ökologische Vulnerabilität von Menschen erhöhen. Darunter fallen beispielsweise Krieg, politische Unruhen, Geschlechterungerechtigkeit, hohe Arbeitslosigkeit, Inflation und Naturkatastrophen. Pull-Faktoren machen ein Land vermeintlich attraktiv, wie zum Beispiel die Abwesenheit bewaffneter Konflikte oder der starke Arbeitsmarkt in einigen europäischen Staaten, der MigrantInnen anzieht, die in ihrem Heimatland keinen existenzsichernden Lebensunterhalt verdienen können. Für das organisierte Verbrechen sind Pull-Faktoren beispielsweise mangelhafte Strafverfolgung, eine hohe Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen oder ein hoher Drogenkonsum, die somit die Ausbeutung von MigrantInnen begünstigen.

Was die EU im Umgang mit Migration und bei der Entwicklung von Asylpolitiken nicht miteinbezieht ist die Rolle, die sie selbst bei der Aufrechterhaltung dieser Faktoren spielt. Europa hat seinen Wohlstand in der Vergangenheit und Gegenwart durch die Ausbeutung von Ressourcen und Arbeitskräften aus Ländern des globalen Südens gesichert; Migration ist in vielen Fällen das Resultat von strukturellen neokolonialen Ungerechtigkeiten, die tief in globalen Wirtschafts- und Handelssystemen verankert sind. Die EU sollte stärker in die Überwindung der strukturellen Ursachen unfreiwilliger Migration investieren, indem sie politische Stabilität, wirtschaftliche Entwicklung und bessere Lebensbedingungen in den Herkunftsländern fördert und Schutzsuchende gleichzeitig dabei unterstützt, sicher und legal migrieren zu können.

Insgesamt sollten Migrationsströme nicht mehr als ”Krisen“ betrachtet werden. Diese Terminologie suggeriert, dass es sich hierbei um Probleme handle, welche um jeden Preis abgewendet werden müssen, und hindert damit die Entwicklung einer langfristigen, flexiblen und solidarischen Migrations- und Asylpolitik.


[1] Europäisches Parlament Pressemitteilung: Menschenhandel – stärkere Maßnahmen zum Schutz von Frauen, Kindern und Migranten https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20210204IPR97113/menschenhandel-starkere-massnahmen-zum-schutz-von-frauen-kindern-und-migranten (zuletzt aufgerufen am 17.01.2025)

[2]  Migrationsdatenportal: Menschenschmuggel (2021), https://shorturl.at/5ycvK (zuletzt aufgerufen am 10.01.2025)

[3] BKA: Kriminalität in Deutschland unter dem Einfluss weltweiter Krisen und Konflikte (2016), S. 2.

[4] BKA: Menschenhandel und Ausbeutung https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/Menschenhandel/menschenhandel_node.html (zuletzt aufgerufen am 10.01.2025).

[5] UNODC, Global Report on Trafficking in Persons 2024, S. 13ff.

[6] European policy center (2024): the new screening and border procedures: towards a seamless migration process? S. 5.

[7] Zum Ganzen: Tammone, F. Challenging Externalization by Means of Article 4 ECHR: Towards New Avenues of Litigation for Victims of Human Trafficking?. Neth Int Law Rev 71, 89–117 (2024). https://doi.org/10.1007/s40802-024-00254-8

[8] Achilli, L. (2024). The missing link: the role of criminal groups in migration governance. Journal of Ethnic and Migration Studies, 50(20), 5045–5066. doi.org/10.1080/1369183X.2024.2363844

[9] OSZE: Migration und Menschenhandel: untrennbar miteinander verbunden (2016) https://www.osce.org/de/magazine/315241  (zuletzt aufgerufen am 10.01.2025)

[10] OSZE: Migration und Menschenhandel: untrennbar miteinander verbunden (2016) https://www.osce.org/de/magazine/315241  (zuletzt aufgerufen am 10.01.2025)

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