• 18.07.2025

WHO-Leitlinie zur Prävention von Genitalverstümmelung bei Frauen und zur klinischen Behandlung von Komplikationen

Acht Empfehlungen und drei Best-Practice-Statements

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlichte zuletzt 2016 Richtlinien zum Umgang mit gesundheitlichen Komplikationen durch weibliche Genitalverstümmelung (FGM). Ziel dieser Richtlinien war es, gesicherte Empfehlungen für die Behandlung solcher Komplikationen bereitzustellen. Die überarbeitete Fassung der Richtlinien hat nun einen erweiterten Umfang: Sie enthält sowohl aktuelle Empfehlungen zur Prävention von FGM als auch zur klinischen Behandlung der Folgen. Die neue Leitlinie liefert acht Empfehlungen und drei Best-Practice-Statements zur Prävention von FGM.

Die Empfehlungen der neuen Leitlinie

  • Das Gesundheitspersonal sollte in der Prävention von FGM und im Umgang mit FGM-bedingten Gesundheitskomplikationen geschult werden.
  • Zusätzlich zu Schulungen sollte das Gesundheitspersonal Zugang zu Ressourcen für den Kapazitätsaufbau haben, einschließlich Informations-, Bildungs- und Kommunikationsmaterialien (IEC) und Arbeitshilfen, z. B. klinische Leitfäden, Handbücher, Algorithmen, Flussdiagramme, anatomische Modelle und andere digitale/gedruckte Ressourcen, die die Arten von FGM, die damit verbundenen Komplikationen und deren Behandlung erklären.
  • Frauen und Mädchen, die mit FGM leben oder von FGM bedroht sind, sowie Männer und Jungen aus Gemeinschaften, die FGM durchführen, sollten Aufklärungsmaßnahmen erhalten, z. B. Gruppengesundheitsaufklärung (in Gesundheitseinrichtungen und/oder aufsuchenden Einrichtungen, auch in humanitären Einrichtungen und unter Flüchtlingen), Einzelaufklärung über FGM, Informationsaustausch oder FGM-Präventionsberatung.
  • Die Deinfibulation wird für Frauen und Mädchen mit FGM Typ III empfohlen.
  • Zur Erleichterung der vaginalen Geburt bei Frauen mit FGM Typ III kann entweder eine Deinfibulation vor oder während der Geburt in Betracht gezogen werden.
  • Frauen und Mädchen, die sich einer FGM unterzogen haben und bei denen Symptome auftreten, die auf Angststörungen, Depressionen oder posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) hindeuten, sollten psychosoziale Interventionen angeboten werden, die an ihre Bedürfnisse angepasst sind und im Einklang mit der WHO-Leitlinie „Mental Health Gap Action Programme“ (mhGAP) stehen.
  • Eine Beratung zur sexuellen Gesundheit wird empfohlen, um sexuelle Funktionsstörungen bei Frauen zu verhindern oder zu behandeln.
  • Sexualberatung wird zur Vorbeugung oder Behandlung von sexuellen Funktionsstörungen bei Frauen, die mit FGM leben, empfohlen.
  • Eine Klitorisrekonstruktion wird für ausgewählte Frauen mit FGM empfohlen.

Best-Practice-Statements

  • Gesetze und Strategien zum Schutz und zur Unterstützung von Frauen und Mädchen, die FGM unterzogen wurden oder von FGM bedroht sind, sollten entwickelt und durchgesetzt werden, wobei sichergestellt werden sollte, dass sie auch für Gesundheitsfachkräfte geltend gemacht werden.
  • Berufliche Verhaltenskodexe für das Gesundheitspersonal sollten entwickelt und durchgesetzt werden, übereinstimmend mit einer Null-Toleranz-Politik gegenüber FGM, die sich an den Menschenrechten und ethischen Grundsätzen orientiert.
  • Frauen mit FGM des Typs III sollte vor der Deinfibulation eine Beratung angeboten werden. Partner und andere Familienmitglieder können auf Wunsch der Frau miteinbezogen werden, insbesondere in Situationen, in denen eine Reinfibulation häufig gewünscht wird.

Zusammenfassung der wichtigsten Punkte

  • Die neue Leitlinie enthält einen erweiterten Anwendungsbereich, der die sektorübergreifenden Verbindungen hervorhebt
  • Die Gesundheitssysteme müssen das Gesundheitspersonal bei der Prävention von FGM und der Behandlung von Komplikationen unterstützen und dessen Kapazitäten ausbauen.
  • Entscheidende Rolle des Gesundheitspersonals als Fürsprecher, Aufklärer, Führungspersönlichkeiten und Verbündete bei den Bemühungen zur Beendigung von FGM
  • Verschiedene Formen des Informationsaustauschs, der Aufklärung und der Kommunikation sollten in Betracht gezogen werden, um gefährdete und betroffene Gemeinschaften mit klaren, präzisen Informationen zu erreichen, mit dem Ziel, die Praktik zu verhindern

Nutzung des Leitfadens

  • Unterstützung der regionalen und nationalen Anpassung und Verbreitung
  • Umsetzung von sektorübergreifenden Programmen und Strategien, die sowohl auf Systemebene als auch auf Gemeindeebene Maßnahmen gegen den Verzicht fördern
  • Förderung der Evidenzbasierung bei der Entwicklung, Umsetzung und Ausweitung effektiver Strategien zur Prävention und Behandlung von FGM
  • Fortsetzung der Lobbyarbeit auf globaler, regionaler und nationaler Ebene mit evidenzbasierten Botschaften

FGM ist ein globales Problem mit einer alarmierend steigenden Prävalenz. Um das Ziel der weltweiten Abschaffung von FGM bis 2030 zu erreichen, sind gut durchdachte Strategien und ein koordiniertes internationales Vorgehen unerlässlich. Bereits in diesem Jahr wurden zwei zentrale Dokumente veröffentlicht, die wertvolle Ressourcen, Strategien und konkrete Handlungsempfehlungen für den Kampf gegen FGM bereitstellen.

Ein weltweites Problem mit alarmierenden Zahlen 

Alle 5 Jahre veröffentlichen Equality Now, das End FGM European Network und End FGM/C U.S. Network in gemeinsamer Arbeit einen umfangreichen Bericht zur aktuellen Lage und Vorkommen von weiblicher Genitalverstümmelung (FGM/C) weltweit. Anhand von Statistiken, den aktuellen Zahlen, Erzählungen Betroffener und Erfahrungsberichten zeigt der aktuelle Bericht akuten Handlungsbedarf auf. 

Laut dem aktualisierten Bericht sind weltweit mindestens 230 Millionen Frauen und Mädchen von weiblicher FGM/C betroffen – ein Anstieg von 15 % gegenüber den vorherigen Schätzungen von 200 Millionen. Dieser Anstieg ist auf das Bevölkerungswachstum in betroffenen Gemeinschaften sowie auf neue Daten aus bisher nicht erfassten Ländern zurückzuführen. Zum ersten Mal gibt es spezifische Schätzungen zur Verbreitung von FGM/C in Asien (80 Millionen), dem Nahen Osten (6 Millionen) sowie kleinen Gemeinschaften oder Diaspora-Gruppen weltweit (1–2 Millionen). 

Der Bericht unterstreicht, dass FGM/C kein regionales, sondern ein globales Problem ist. Daten belegen die Praxis in mindestens 94 Ländern, darunter nicht nur afrikanische Staaten, sondern auch Länder in Asien, dem Nahen Osten, Europa, Nordamerika und Lateinamerika. Neue Zahlen liefern Hinweise auf die Praxis von FGM/C in 3 zusätzlichen Ländern seit 2020 (Aserbaidschan, Vietnam und Kambodscha).  

Fortschritte und Rückschläge in den letzten fünf Jahren 

  • Erfolge: Einige Länder konnten die Prävalenz von FGM/C deutlich senken, z. B. Burkina Faso (von 75 % auf 56 %), Liberia (44 % auf 32 %) und Kenia (21 % auf 15 %). Außerdem wurden neue Gesetze gegen FGM/C verabschiedet, darunter in Sudan, Indonesien, Finnland, Polen und den USA. In Portugal, Gambia und Großbritannien fanden erstmals erfolgreiche Strafverfolgungen bezüglich FGM/C statt. 
  • Rückschläge: In mehreren Ländern gab es Gegenbewegungen gegen bestehende Gesetze. So wurde in Gambia 2024 versucht, das 2015 verabschiedete Gesetz gegen FGM/C aufzuheben, was jedoch dank massiver feministischer und zivilgesellschaftlicher Proteste verhindert wurde. 

Mangel an Bewusstsein und Finanzierung als Haupthindernisse 

Trotz der wachsenden Datenlage bleibt das öffentliche Bewusstsein über die globale Dimension von FGM/C gering. Der Bericht warnt, dass mitunter aufgrund dieses fehlenden Wissens Regierungen und internationale Akteure zu wenig in Prävention, Aufklärung und den Schutz betroffener Frauen und Mädchen investieren. Während einige afrikanische Länder begrenzte Mittel erhalten, sind solche Finanzierungen in Asien, dem Nahen Osten und Lateinamerika fast nicht vorhanden, obwohl dort ebenfalls Millionen von Mädchen betroffen sind.  

Gesetzliche Fortschritte, aber weiterhin große Lücken 

Von den 94 Ländern mit nachgewiesener FGM/C-Praxis besitzen nur 59 (etwa 62 %) spezifische Gesetze gegen FGM/C. Während viele afrikanische und europäische Länder Gesetze verabschiedet haben, hinken der Nahe Osten und Asien hinterher. Besonders alarmierend ist außerdem, die fehlende oder nur lückenhafte Strafverfolgung selbst in Ländern mit Verboten, welche betroffene und gefährdete Mädchen und Frauen weiterhin ungeschützt lässt. 

Was jetzt getan werden muss 

Der Bericht fordert eine verstärkte globale Antwort mit folgenden Maßnahmen: 

  • Stärkere politische Verpflichtung zur Beendigung von FGM/C 
  • Kritische Forschung und erhöhte Datensammlung zur Stärkung der Beweislage und besseren Dokumentation der Praxis (zum Beispiel weitere Untersuchungen in Ländern wie Panama, Mexiko und Peru erforderlich, wo FGM/C unter indigenen Gruppen vorkommen könnte) 
  • Vermehrte langfristige finanzielle Unterstützung, in allen betroffenen Regionen  
  • Gesetzliche Reformen und bessere Durchsetzung bestehender Gesetze 
  • Umfassende Unterstützung für Überlebende, einschließlich medizinischer und psychologischer Hilfe 

Fazit: Die Zeit zu handeln ist jetzt: Globale Maßnahmen gegen weibliche Genitalverstümmelung (FGM/C) dringend erforderlich

Die Bekämpfung von FGM/C ist eine globale Menschenrechtsfrage, die dringend mehr Aufmerksamkeit, Mittel und politische Entschlossenheit erfordert. Nur durch koordinierte, umfassende Maßnahmen kann das Ziel der vollständigen Abschaffung von FGM/C bis 2030 (SDG 5.3) erreicht werden. 

Den vollständigen Bericht findet ihr hier in englischer oder französischer Sprache. 

Die ganze Leitlinie in englischer Fassung findet ihr hier.

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