Bekanntgabe der BKA-Statistik 2021: 115.342 Frauen in Deutschland von Partnerschaftsgewalt betroffen
Die aktuellen Zahlen des Bundeskriminalamtes (BKA) zu Gewalt in Partnerschaften sind, trotz eines leichten Rückgangs im Vergleich zum Vorjahr, wieder einmal erschreckend. Im Jahr 2021 wurden 113 Frauen von ihrem (Ex-)Partner getötet. Insgesamt waren 143.604 Menschen von Partnerschaftsgewalt betroffen, 80,3% davon waren weiblich – das sind 115.342 Frauen, die in ihrem eigenen Zuhause nicht sicher sind.
Es ist ein Dienstagnachmittag, helllichter Tag in einem Lebensmittelgeschäft in Schwalmstadt, als ein 58-jähriger Mann seine 53-jährige Ex-Freundin und danach sich selbst erschießt. Beide sterben noch im Supermarkt. Am Abend zuvor war bereits ein Platzverweis gegen den Mann ausgesprochen worden. Eine Anzeige wegen Körperverletzung, Nötigung und Nachstellung gegen den Ex-Partner, von dem die Frau sich Anfang 2022 getrennt hatte, stellte die Frau am Morgen bei der Polizei. Wenige Stunden später ist sie tot.
Im August 2021 erwürgt ein Mann seine Ex-Partnerin Birke K. in ihrer Wohnung. Einige Wochen zuvor hatte auch sie sich von ihm getrennt. Nach der Tat positioniert er leere Alkohol Flaschen neben ihrem Bett und versendet anschließend eine SMS von ihrem Handy an ihren 17-jährigen Sohn, in der vermeintlich sie erklärt, dass sie zu viel Alkohol getrunken habe und es ihr nicht gut ginge. So versucht er den Mord als Suizid zu inszenieren.
Es sind keine dunklen Gassen, keine zwielichtigen Verrückten, keine wahllosen Tötungen. Diese Morde sind gezielte Femizide, Tötungen an Frauen, weil sie Frauen sind. Die Motivation eine Frau aufgrund ihres Geschlechts zu töten ist nicht immer offensichtlich. Aber auch, wenn ein Mann seine Partnerin tötet, weil diese ihn beispielsweise verlassen möchte, liegen diesem augenscheinlichen Beweggrund tiefgreifende patriarchale Einstellungen zugrunde. Er tötet sie nicht einfach, weil sie ihn verlassen möchte. Er tötet sie, weil er der Überzeugung ist, dass er das Recht dazu hat, nicht verlassen zu werden. Dass er also als Mann das Recht auf seine Frau hat. Er tötet sie nicht, weil sie sich mit jemand anderem trifft. Er tötet sie, weil ihm von unserer Gesellschaft beigebracht wurde, dass er als Mann über die Aktivitäten seiner Frau verfügen darf. Dass sie seine Frau ist. Es spielen immer Gefühle von männlicher Dominanz, Beanspruchung von Eigentum und einer Art von Herrschaftsanspruch über die Frau eine Rolle, wenn es um die Tötung einer Frau geht. Denn auch wenn es kein bewusster Vorgang ist: Er tötet sie, weil sie eine Frau ist.
Bis heute besteht keine einheitliche Definition des Begriffs Femizid, was nicht nur die Datenerhebung, sondern auch die konsequente strafrechtliche Verfolgung solcher Taten erschwert. Die Motivation, die diesen Taten zugrunde liegt, ist also inhärent patriarchal und von Vorstellungen von männlicher Dominanz, Kontrolle und hierarchischen Geschlechterverhältnissen geprägt. Die asymmetrischen Machtstrukturen, die in solchen Denkweisen verwurzelt sind, führen zu einer Unterordnung von Frauen und Mädchen, die von den meist männlichen Tätern ausgenutzt und reproduziert werden. Häufig zeigt sich diese misogyne Haltung und der tief verwurzelte Hass gegen Frauen als solche, in anhaltender häuslicher Gewalt, sexualisiertem Missbrauch, Drohungen und Einschüchterungen, die dem Femizid vorhergehen.[1] Femizide sind also mehr als tragische Einzelfälle, die Gewalt hat System. Gerade weil Femizide, wie die oben beschriebenen, eben keine Einzelfälle sind, sondern auf strukturell tief verwurzelten Machtansprüchen beruhen, muss diesem Problem auch systematisch entgegengetreten werden.
Femizide sind allerdings nur die Spitze des Eisberges. Der Tötung einer Frau gehen häufig jahrelange Misshandlungen und Gewalttaten voraus. Häusliche Gewalt ist damit eine der häufigsten Menschenrechtsverletzungen in Deutschland. Erschwerend kommt dabei hinzu, dass Betroffene von häuslicher Gewalt häufig jahrelang in partnerschaftlichen Abhängigkeitsverhältnissen gefangen sind, in denen sie unterdrückt, psychisch und/oder physisch misshandelt und sozial und finanziell isoliert werden. Es muss außerdem von einer enorm hohen Dunkelziffer ausgegangen werden, da viele Fälle von häuslicher Gewalt nicht in den Statistiken der Polizei erfasst werden. Das gleiche gilt für Femizide.
Es ist an der Politik und der Justiz jetzt konkrete Maßnahmen zu treffen, um den vielen Betroffenen von häuslicher Gewalt unterstützend zur Seite zu stehen. TERRE DES FEMMES stellt dafür konkrete Forderungen, um präventiv Gewalt an Mädchen und Frauen zu verhindern und Intervention und Schutz von Betroffenen sicherzustellen.
Noch begegnen uns viele Hürden auf dem Weg in eine gleichberechtigte, selbstbestimmte und freie Welt für Mädchen und Frauen. Ob diese jedoch rechtlicher, gesellschaftlicher oder politischer Natur sind, TERRE DES FEMMES wird sich weiterhin mit aller Kraft für solch eine Welt engagieren. Die neuesten BKA-Zahlen beweisen nur erneut, wie akut der Handlungsbedarf ist.
Es ist Zeit zu handeln, Betroffene zu beschützen und Täter zu bestrafen. 115.342 betroffene Frauen sind 115.342 zu viel. 113 ermordete Frauen sind 113 zu viel. Häuslicher Gewalt muss in jeglicher Form präventiv und intervenierend entgegengewirkt werden, um dem Grauen ein Ende zu setzen und ein gewaltfreies Leben im eigenen Zuhause Realität werden zu lassen.
HIer der vollständige Bericht des BKA: Kriminalstatistische Auswertung zur Partnerschaftsgewalt: Berichtsjahr 2021
[1] https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/77421/WHO_RHR_12.38_eng.pdf