Die „Weiße Woche“ 2025: Präventionsarbeit gegen Zwangsverheiratung an Schulen

Jedes Jahr zu den Sommerferien steigt das Risiko für SchülerInnen aus streng patriarchalischen Strukturen, zwangsverheiratet zu werden. Früh- und Zwangsverheiratungen sind jedoch ein Tabuthema. Betroffene und Gefährdete wissen nicht, dass es Hilfen gibt oder trauen sich nicht, diese in Anspruch zu nehmen. Daher ist es umso wichtiger, einfache Zugänge zu wählen und dorthin zu gehen, wo sich Betroffene aufhalten könnten.
Die „Weiße Woche“ ist solch ein einfacher Zugang. Zum mittlerweile vierten Mal ging TERRE DES FEMMES gemeinsam mit der Berliner Polizei in der Woche vom 23.-27.06.2025 an Schulen. Die Bezeichnung „Weiße Woche“ stellt dabei eine Anspielung auf ein zumeist weißes Hochzeitskleid dar. Im Rahmen von Kurzworkshops und durch einen Infostand wurden SchülerInnen, Lehrkräfte und SchulsozialarbeiterInnen für das Risiko einer Zwangsverheiratung und/oder Verschleppung sensibilisiert.
An 4 Schulen wurden 39 Workshops durchgeführt und allein mit diesen insgesamt 645 SchülerInnen erreicht. Zusätzlich besuchten 444 SchülerInnen unseren Infostand. Damit kann die vierte „Weiße Woche“ mit 1.089 Personen einen neuen Rekord bei den erreichten SchülerInnen verzeichnen. Die Schulen verteilten sich über die Berliner Bezirke Charlottenburg-Wilmersdorf, Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Marzahn-Hellersdorf.
Was PädagogInnen und SchülerInnen sagen
„Viele meiner Freundinnen wurden im Ausland dann ganz plötzlich verheiratet. Das war gar nicht geplant, das wurde vor Ort dann so beschlossen.“ (Schülerin)
„Was ist, wenn man schwanger ist? Die Familie sagt, sie muss heiraten. Sonst hat sie kein Geld.“ (Schülerin)
„Eine Mitschülerin von mir, damals in der 6. Klasse, war nachmittags bei mir. Sie fragte plötzlich, ob sie bei uns Wäsche waschen könnte. (…) Dann fiel zwischen der Kleidung ihr Reisepass heraus und wir fragten, was das bedeute… sie fing an zu weinen und erzählte schließlich, dass ihr Vater sie im Herkunftsland zwangsverheiraten wolle… Wir konnten sie dann überreden, die Polizei einzuschalten.“ (Schülerin)
„Ich wurde mit 13 Jahren ins Herkunftsland gebracht und sollte dort verheiratet werden. Ich schrieb meiner Mutter in Deutschland und sie kam sofort und holte mich zurück.“ (Schülerin)
Aber auch Lehrkräfte berichteten von Fällen: Zum Beispiel, dass der Kontakt zu Schülerinnen plötzlich abbrach und beispielsweise nur noch der Bruder ans Telefon ging oder das Abschlusszeugnis der Schülerin direkt nach Schulschluss ins Ausland verschickt wurde.
Gelegentlich wurden auch verschiedene weitere Facetten patriarchaler Strukturen und deren eingeschränkte Selbstbestimmungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen beschrieben. So berichtete ein Lehrer, dass der Vater einer (fast) erwachsenen Schülerin ihr drohte, dass sie nicht mehr zur Schule gehen dürfe, wenn sie noch einmal auf dem Heimweg von Männern angesprochen oder belästigt würde. Auch fragte eine Schülerin: „Was macht man, wenn man nur die Familie besuchen will und der Mann vor Ort ganz plötzlich entscheidet, dass man dort bleibt und nicht mehr zurückgeht? (….) Das ist meiner Tante so gegangen, wir haben keinen Kontakt mehr.“
Es sind Berichte wie diese, die zeigen, wie wichtig es ist, Themen wie Zwangsverheiratung im Unterricht anzusprechen und in diesem Zusammenhang über die rechtliche Situation und Beratungsmöglichkeiten hinzuweisen. Denn die Workshops zeigen auch auf, dass die meisten SchülerInnen nicht wüssten, an wen sie sich bei Gewalt oder Gesprächsbedarf wenden könnten. Demzufolge sind auch wichtige Eckdaten – wie kostenfreie, auf Wunsch anonyme Beratungen oder die Schweigepflicht der SchulsozialarbeiterInnen – zumeist unbekannt. Doch allein dieses Wissen kann Mädchen und Frauen ermutigen, sich Hilfe zu suchen und andere Perspektiven zu erfahren.
Wissen, das Leben rettet: Fokus doppelte Staatsbürgerschaften
Ebenso lag ein Fokus der Workshops auf den Aspekt der doppelten Staatsbürgerschaft. Viele Mädchen und Frauen haben mehr als eine Staatsbürgerschaft, auch wenn sie bspw. in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Viele Länder weltweit vergeben die Staatsbürgerschaft anhand des Abstammungsprinzips (ius sanguinis) – sofern ein Elternteil eine andere Staatsbürgerschaft besitzt, kann diese per Geburt auch auf die Kinder übergehen, ohne dass die Kinder zwangsläufig automatisch einen zusätzlichen Pass ausgestellt bekommen.
Sehr häufig wissen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen dies nicht und so stellt sich unter Umständen erst im Ernstfall heraus, dass sie im Herkunftsland der Familie als dessen Staatsbürgerinnen gelten – die deutschen Botschaften können in diesen Fällen nur sehr wenig agieren.
Zudem gibt es weltweit derzeit 25 Länder, die ihre StaatsbürgerInnen nie „ausbürgern“. Das bedeutet, selbst wenn man das wollen würde, könnte man deren Staatsbürgerschaft nicht abgeben. Diese sind: Afghanistan, Algerien, Angola, Argentinien, Brasilien, Bolivien, Costa Rica, Dominikanische Republik, Ecuador, Eritrea, Guatemala, Honduras, Iran, Kuba, Libanon, Malediven, Marokko, Mexiko, Nicaragua, Nigeria, Panama, Syrien, Thailand, Tunesien und Uruguay (Stand Juli 2025).[1]
Derartiges Wissen ist im Hinblick auf die Gefahr der Verschleppung ins Ausland, die mit einer Zwangsverheiratung oft einhergeht, von enormer Bedeutung. Denn laut einer aktuellen Umfrage des Berliner Arbeitskreises gegen Zwangsverheiratung waren im Jahr 2022 81% der Zwangsverheiratungen im Ausland geplant.[2]
Die Präventionsarbeit geht weiter
Die „Weiße Woche“ hat sich als feste Präventionswoche bei TERRE DES FEMMES etabliert und soll auch die nächsten Jahre stattfinden.
[1] Vgl. Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Ausnahmen, in denen Sie Ihre bisherige Staatsangehörigkeit behalten können, online unter: https://www.integrationsbeauftragte.de/ib-de/ich-moechte-mehr-wissen-ueber/einbuergerung/ausnahmen-in-denen-sie-ihre-bisherige-staatsangehoerigkeit-behalten-koennen-1865126. Letzter Zugriff: 23.07.2025.
[2] Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg / Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte Petra Koch-Knöbel: Evaluationsergebnisse der Umfrage des Berliner Arbeitskreises gegen Zwangsverheiratung zum Ausmaß von Zwangsverheiratungen in Berlin 2022, Berlin 2023. Online unter: https://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/aktuelles/pressemitteilungen/2023/pressemitteilung.1385750.php.