• 16.09.2024

Jin Jiyan Azadî!
Das Unrechtsregime Islamische Republik Iran

- Zahlen, Daten, Fakten -

Seit der letzten Veröffentlichung des Factsheets zum Internationalen Frauentag im März 2024, hat sich im Iran und in Deutschland viel ereignet. Am 19. Mai stürzte der Hubschrauber mit Präsident Ebrahim Raisi und Außenminister Hussein Amirabdollahian im Iran ab. Es kam zu Neuwahlen, die boykottiert wurden. Am 24. Juli wurde in Deutschland – in einem längst überfälligen Schritt - das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) und seine Teilorganisationen verboten, da es eine extremistische Organisation des Islamismus ist, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Fünf Wochen nach dem IZH-Verbot wurde auch der Leiter Mohammed Hadi Mofatteh aus Deutschland ausgewiesen. Nach Erkenntnissen des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz galt er als IZH-Leiter bis zuletzt als offizieller Stellvertreter des iranischen Revolutionsführers Ajatollah Ali Chamenei in Deutschland.

Zweiter Todestag von Jina Mahsa Amini

Zum zweiten Todestag von Jina Mahsa Amini aktualisieren wir das Factsheet. Die iranische Bevölkerung, an vorderster Reihe, die mutigen Mädchen und Frauen, leisten täglich Widerstand gegen das iranische Unrechtsregime. Abseits der politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit, besteht die FRAU LEBEN FREIHEIT Bewegung fort. Seit der Machtergreifung der Mullahs im Jahr 1979 herrscht in der Islamischen Republik Iran Willkür und Repression. Proteste gab es im Land auch vor 2022. Doch der Tod von Jina Mahsa Amini, am 16.09.2022, vereint das Land auf eine bis dahin noch nie dagewesene Art und Weise. Ethnien-, Schichten, Alters- und Provinzübergreifend gab es Massenproteste. Das Unrechtsregime regiert mit Gewalt und Terror gegen die eigene Bevölkerung. Selbst wem es gelungen ist nach Deutschland zu flüchten, ist nicht sicher. Denn der iranische Staat betreibt Staatsterrorismus und bedroht auch in Deutschland AktivistInnen und Schutzsuchende.

Inhaftierungen, Verletzte und Getötete seit September 2022

  • Weiterhin werden Protestierende im Iran verhaftet. Von April bis Juli 2024 wurden circa 450 Personen festgenommen. In vielen Fällen erhalten Rechtsbeistand und Familien wochenlang keine Informationen. Am 25. Juli 2024 wurde beispielsweise die Künstlerin Zara Esmaeil in Teheran verhaftet, weil sie öffentlich gesungen und getanzt hat
  • Am 23. Juli 2024, wurde Arezoo Badri, Anfang 30, während der Autofahrt in der Stadt Noor in der Provinz Mazandaran von iranischen Streitkräften direkt in den Rücken geschossen, wahrscheinlich weil sie kein Kopftuch trug. Sie wird wohl querschnittsgelähmt bleiben
  • Der Fall Badri steht auch im Zusammenhang mit Fortsetzung des „Noor-Plans“ zur Durchsetzung der Hijab-Pflicht im Iran. Im April 2024 verkündigte die iranische Polizei den Plan vehement durchzusetzen
  • Anfang August 2024 ging ein Video viral, welches dokumentiert wie zwei 14-jährige Mädchen von der sogenannten Sittenpolizei im Teheran brutal angegriffen und über den Asphalt gezerrt wurden
  • Seit Anfang 2024 sind 16 Fälle dokumentiert, in denen Gefangene unter Folter oder Verweigerung medizinischer Hilfe in iranischen Gefängnissen verstorben sind. Die Dunkelziffer dürfte wohl weitaus höher liegen. Familienmitglieder der Getöteten berichten, dass ihnen die Leiche nicht übergeben wurden. Die genauen Todesumstände bleiben in vielen Fällen unbekannt
  • Narges Mohammdi, Friedensnobelpreisträgerin und politisch Gefangene, wurde Ende Juli bei einer friedlichen Protestaktion gegen Hinrichtungen von Wachleuten im Evin-Gefängnis geschlagen
  • Im Mai 2024 wurde gegen sie ein neuer Prozess eröffnet, weil sie heimlich Insassinnen interviewt hat, die sexualisierte Übergriffe im Gefängnis erlebt haben. Sie wird wegen Propaganda gegen das islamische System erneut angeklagt werden
  • Sexualisierte Gewalt wird gezielt und systematisch von den sogenannten Sicherheitskräften angewendet, unter den Überlebenden sind auch Minderjährige

Deutsche Staatsbürgerin Nahid Taghavi weiterhin in Haft

  • Am 28. August 2024 musste Nahid ihren 70. Geburtstag hinter Gittern im berüchtigten Foltergefängnis Evin in Teheran verbringen
  • Seit Oktober 2020 wird die deutsche Frauenrechtsaktivistin als Geisel festgehalten und erhält trotz zahlreicher gesundheitlicher Probleme keinen weiteren Hafturlaub

Hinrichtungswelle im Iran

  • In der ersten Hälfte des Jahres 2024 sind mindestens 364 Gefangene in verschiedenen Gefängnissen im Iran hingerichtet worden, darunter 15 Frauen und eine minderjährige Person
  • Am 28. Juni 2024 fanden die Präsidentschaftswahlen im Iran statt. Rund 60% der Wahlberechtigten boykottierten die Wahl. Dr. Masoud Pezeshkian wurde gewählt. Der Herzchirurg wird als sogenannter Reformer bezeichnet und übt auch hinsichtlich Frauenrechte und dem staatlichen Verhüllungszwang vorsichtige Kritik. Zugleich wurde allerdings deutlich, dass auch er nur eine Marionette der iranischen Führung ist. Seit seiner Ernennung gab es bereits 87 Hinrichtungen, 29 davon an einem Tag
  • Ethnische Minderheiten wie KurdInnen und BalutschInnen sind besonders gefährdet hingerichtet zu werden. Beispielsweise machen BalutschInnen nur 5% der Gesamtbevölkerung aus, 21% der Hingerichteten gehören allerdings dieser ethnischen Minderheit an
  • Das Regime befürchtet vor dem 2. Todestage von Jina Mahsa Amini, dass es wieder vermehrt zu landesweiten Massenprotesten kommt. Die aktuelle Hinrichtungswelle ist der Versuch die Bevölkerung massiv einzuschüchtern

Einschüchterung und Belästigung von Familien der Opfer

  • Angehörige von Hingerichteten sind großer Gefahr ausgesetzt selbst angeklagt und inhaftiert zu werden. Im August 2024 wurde bekannt, dass Mashallah Karami, der Vater des am 07.01.2023 hingerichteten Mohammad Mehdi Karami, zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden ist. Einer der Anklagepunkte war Propaganda gegen das Regime. Zudem muss er eine Geldstrafe von umgerechnet rund 29.500€ bezahlen und sein Eigentum wurde beschlagnahmt
  • Auch der Anwalt der Familie Karami wurde im Frühjahr 2024 in einem unrechtmäßigen Prozess zu 6 Jahren Gefängnis verurteilt

Vergiftungen in Mädchenschulen

  • Ende August 2024 gibt Asghar Jahangir, Sprecher des iranischen Justizministeriums bekannt, dass sogenannte Schulrichter eingesetzt werden sollen. Diese sind für die Einhaltung der Disziplin zuständig. AktivistInnen befürchten, dass die Repression auch in Schulen weiter zunimmt
  • Bislang war das staatliche System nicht willens die systematischen Vergiftungen in Mädchenschulen zu untersuchen und die TäterInnen zu ermitteln. Über 7000 Schülerinnen und über 200 Schulen sollen zwischen November 2002 und Frühsommer 2023 betroffen gewesen sein
  • Die Islamische Republik Iran ist ein Staat, welcher mittels modernster Kamera- und Überwachungstechnik Frauen ohne Hijab in der Öffentlichkeit und beim Autofahren identifizieren und per SMS über ihre Strafe informieren kann, allerdings nicht willens ist Mädchenschulen zu schützen. Im Gegenteil, durch den Einsatz von sogenannten Schulrichtern, werden sie noch mehr zu Orten der Unterdrückung und Einschüchterung

Geschlechterapartheid

  • Bereits in den 1990er Jahren haben afghanische Frauenrechtsaktivistinnen während des ersten Talibanherrschaft, auf die systematischen und institutionalisierten Menschenrechtsverletzungen aufmerksam gemacht, die Mädchen und Frauen nur aufgrund ihres Geschlechts erleiden müssen
  • Bislang ist Genderapartheid im internationalen Recht nicht als Verbrechen anerkannt. Sowohl in der Anti-Apartheid-Konvention wie auch im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wird Apartheid auf Grund der Rasse definiert und weist keinen Bezug zum Geschlecht auf
  • Im Frühjahr 2024 lag der knapp 100-seitige Bericht vor, welcher von der „International Bar Association’s Human Rights Institute“ dem britischen Parlament vorgelegt wurde. Mehrere Möglichkeiten der Kodifizierung im internationalen Recht werden darin erläutert. Es ist der erste Bericht dieser Art
  • Auch innerhalb der Vereinten Nationen wird seit Sommer 2021, Beginn der zweiten Talibanherrschaft in Afghanistan, und seit Ausbruch der FRAU LEBEN FREIHEIT Bewegung im Iran seit September 2022, Genderapartheid eingehender diskutiert. Staatlich angeordnete Zwangsverschleierung, die systematische und institutionalisierte Diskriminierung und Segregation von afghanischen und iranischen Mädchen und Frauen hoben die Menschenrechtsexpertinnen der Vereinten Nationen als Phänomen der Geschlechterapartheid hervor
  • Die iranische Ideologie der Geschlechterapartheid hat zudem einen Herrschaftsanspruch über Staatsgrenzen hinaus. Zum dritten Mal innerhalb der vergangenen zehn Jahren versuchen vor allem schiitische und pro-iranische Parteien, Iraks Personenstandsgesetz aus dem Jahr 1959 in ein religiöses Gesetz zu verwandeln. Bislang ist eine Eheschließung ab 18 Jahren möglich, die pro-iranischen Politikern fordern, dass es laut der Scharia ab 9 Jahren für Mädchen möglich sein solle

Exil-IranerInnen auch in Deutschland bedroht

  • Die Schließung des Islamischen Zentrum Hamburgs (IZH) und seiner Teilorganisationen Ende Juli 2024 ist positiv zu bewerten. Allerdings war die Schließung längst überfällig. Seit Jahrzehenten wird es vom Verfassungsschutz als extremistisch eingeordnet und galt als bedeutendstes Propaganda- und Spionagezentrum der iranischen Staatsregierung in Europa
  • Der Leiter des IZH, seit 2018 Mohammed Hadi Mofatteh, ist nach IZH-Angaben die höchste geistliche Autorität der Schiiten in Europa. Laut dem Hamburger Verfassungsschutz ist er dem Obersten Führer des Irans, Ajatollah Ali Chamenei, berichtspflichtig und weisungsgebunden und galt als dessen Stellvertreter in Deutschland. Er machte Propaganda für das „Kinderkopftuch“ in dem er sagte, dass es Mädchen mit 9 Jahren die religiöse Reife erreicht haben mit der auch das Tragen eines „Kinderkopftuchs“ erreicht sei. Im Iran können Mädchen ab 9 Jahren bereits legal verheiratet werden
  • Laut Hamburgs Innensenator Andy Grote musste einer der prominentesten Islamisten Deutschlands ausreisen. Moffatheh versuchte noch mit einem Eilantrag gegen seine Ausreise juristisch vorzugehen, verließ dann aber doch am 10.09.2024 eigenständig das Land
  • Mofattehs Stellvertreter, Sejed Soliman Mussawifar, war bereits Ende 2022 wegen Verbindungen zur libanesischen Hisbollah-Miliz aus Deutschland ausgewiesen worden. Zuvor war er mit einer Beschwerde gegen die Ausweisung vor dem Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts in zweiter Instanz gescheitert. Die proiranische Terrororganisation ist seit 2020 in Deutschland verboten
  • Allerdings bedeutet die Schließung des IZHs nicht automatisch, dass schutzsuchende IranerInnen in Deutschland sicher sind. Der deutsche Verfassungsschutz konstatiert, dass der Iran Staatsterrorismus betreibt und die gezielte Einschüchterung und Bekämpfung von oppositionellen Gruppierungen und Einzelpersonen Schwerpunkte des Iranischen Geheimdienstes in Deutschlands sind. In der Nacht zum 08.09.2024 wurde ein iransicher Flüchtling in Iserlohn (Nordrhein-Westfalen) mutmaßlich von mehreren regimetreuen Iranern vergewaltigt
  • Weiterhin gibt es keinen Abschiebestopp für den Iran. Der geltende wurde im Dezember 2023 nicht mehr verlängert. 2024 wurden mehrere IranerInnen abgeschoben. Ihnen drohen Inhaftierung und schlimmstenfalls die Hinrichtung
  • Die Schutzquote für asylsuchende IranerInnen sank im ersten Quartal 2024 sogar auf 39 Prozent. Die Grundlage für die Asylentscheidungen ist immer noch der veraltete Lagebericht des Auswärtigen Amtes aus November 2022

Terroristische Verstrickungen des Irans

  • Zum ersten Mal seit 1979 griff Iran in der Nacht vom 13. auf den 14. April 2024 Israel direkt an. Er feuerte mehr als 300 Drohnen und Raketen in Richtung Israel ab. Bislang hatte der Iran über seine Verbündete Israel angreifen lassen, vermied aber seit 45 Jahre einen direkten Angriff
  • Am 31. Juli 2024 wurde mutmaßlich durch eine Rakete Ismail Hanija, der Auslandschef der palästinensischen Terrorgruppe Hamas, in einem Gästehaus der Revolutionsgareden im Iran getötet. Hinter der gezielten Tötung vermutet der Iran Israel. Israel äußerte sich dazu nicht
  • Während im Iran hunderte Menschen pro Jahr in unfairen Gerichtsprozessen wegen Drogenhandel hingerichtet werden, ist der Iran selbst ein sogenannter Narco-Staat. Im Nachbarstaat Afghanistan werden 85% des weltweiten Opiums angebaut. Ein Drittel davon wird durch den Iran geschmuggelt. Der Großteil des illegalen Handels von und nach Iran wird über offizielle und von den Revolutionsgarden kontrollierte Häfen und Grenzübergänge abgewickelt. Die Einnahmen aus dem Drogenhandel erlauben dem iranischen Regime militärische und finanzielle Unterstützung für die „Achse des Widerstands“. Zu dem von Iran geführten Bündnis gehören neben der Hamas weitere islamistische Milizen in Libanon, Syrien, Jemen und dem Irak
  • Weiterhin liefert die Islamische Republik Iran tausende Drohnen an Russland. Die Shahed-Kamikaze-Drohnen können über 45kg Sprengstoff tragen und weit in das ukrainische Staatsgebiet eindringen. Iran ermöglicht es Russland seinen Völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine fortzuführen. Russland greift gezielt zivile Infrastruktur wie Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser und die Energieversorgung an
  • Durch Geheimdienstdokumente wurde bekannt, dass russische Soldaten in Syrien durch die libanesische Hisbollah-Miliz und die iranische Revolutionsgarde in die Benutzung der Drohnen eingewiesen und trainiert werden
  • Russisches Militär wird aktuell im Iran am ballistischen Kurzstrecken-raketensystem Fath-360 ausgebildet. Dies wird als Eskalation eingestuft. Es wird erwartet, dass hunderte dieser Raketen im Russischen Angriffskrieg in der Ukraine eingesetzt werden

Unsere Aufzählungen sind nicht abschließend und wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die unausgeschöpften Sanktionsmöglichkeiten, das Atomabkommen, den iranischen Vorsitz für das Sozialforum des UN-Menschenrechtsrats, haben wir hier beispielsweise nicht weiter thematisiert. Diese Beispiele zeigen allerdings, dass Debatten im Bundestag allein nicht ausreichen werden, um das Unrechtsregime Iran und seine frauen- und menschenverachtenden Methoden zu stoppen. Diplomatie allein reichen nicht. Es braucht viel stärkere Sanktionsmechanismen, die die iranische Machtelite treffen und nicht die Bevölkerung.

Aktiv werden:

Folgen Sie auf Social-Media-Kanälen bekannten FrauenrechtsaktivistInnen und tragen Sie mit Likes zu einer höheren medialen Aufmerksamkeit bei. Gehen Sie auf Kundgebungen, aber beachten Sie bitte die Reisehinweise des Auswärtigen Amts: Wer sich solidarisiert und öffentlich zur feministischen Revolution bekennt, sollte nicht in den Iran reisen.

Stand: September 2024

 

 

 

nach oben
Jetzt spenden