• 03.11.2025

Offener Brief

03.11.2025
Offener Brief an den Bundeskanzler, den Bundesaußenminister und den Bundesinnenminister

KEINE Anerkennung des Taliban-Regimes – unter keinen Umständen!

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Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Merz,

sehr geehrter Herr Außenminister Wadephul,

sehr geehrter Herr Innenminister Dobrindt,

wir, die unterzeichnenden Organisationen, blicken mit größter Sorge auf die aktuellen Entwicklungen in Afghanistan – auf Gender-Apartheid. Wir wenden uns an Sie mit der dringlichen Bitte, die dortigen Menschenrechtsverletzungen nicht hinzunehmen und sich den Machthabern in Afghanistan klar entgegenzustellen.

Wir bitten Sie, das Taliban-Regime unter keinen Umständen anzuerkennen! Jede Legitimation der De-facto-Regierung der Taliban ist ein Verrat an Mädchen, Frauen und marginalisierten Menschen in Afghanistan und eine Untermauerung des dort herrschenden Patriarchats

Die Situation von Mädchen und Frauen in Afghanistan ist höchst kritisch, menschenunwürdig und frauenverachtend. Mädchen und Frauen dürfen sich ohne Begleitung eines männlichen Verwandten (Mahram) nicht in der Öffentlichkeit bewegen. Von diesen sind sie vollkommen abhängig, da ihnen keine Führerscheine mehr ausgestellt werden. Damit sind sie, sofern keine Begleitung vorhanden, faktisch in ihrem Zuhause eingesperrt. Sind sie mit einem Mahram unterwegs, dann sind sie zur vollständigen Verschleierung ihres gesamten Körpers und Gesichts verpflichtet. Lautes Sprechen, Singen, Dichten oder andere Ausdrucksformen in der Öffentlichkeit sind ihnen untersagt. Frauen in Afghanistan sind in der Öffentlichkeit quasi ausgelöscht.

Frauen können ohne Begleitung keine Arztbesuche wahrnehmen, sodass ihr Zugang zu medizinischer Versorgung von der Zustimmung eines Mannes abhängig ist. Auch darf eine Frau nur von einer Ärztin behandelt werden. Wenn der behandelnde Arzt männlich ist und kein Mahram anwesend ist, darf sie den Arzt nicht aufsuchen. So wurde eine hochschwangere Frau, welche unmittelbar vor der Entbindung stand, in der Notaufnahme abgewiesen, weil sie allein kam.

Gleichzeitig fehlt es landesweit an weiblichem Gesundheitspersonal. Grund dafür sind einerseits von den Taliban erlassene Berufsverbote, andererseits der fehlende Zugang zu weiterführender Bildung. Mädchen dürfen nur bis zum 12. Lebensjahr die Schule besuchen. Weiterführende Schulen oder einen akademischen Bildungsweg gibt es für Mädchen und Frauen in Afghanistan nicht mehr. Eine Ausreise ist für Frauen ebenfalls nicht möglich. Bei dem Versuch, sich dem zu widersetzen, drohen Folter, Haft oder andere drakonische Strafen.

Diese Gewalt ist Ausdruck des patriarchalen Systems der Taliban. In diesem System ist es Frauen unmöglich, ein selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben zu führen und die Gesellschaft, die Zukunft Afghanistans mitzugestalten.

In den vergangenen Wochen wurde dies noch verstärkt, indem die Taliban – zeitweise flächendeckend in Afghanistan – mehrfach das Internet und den Mobilfunk blockierten. Dies wirkte als direkte Bedrohung für Mädchen und Frauen, die aktuell nur im Untergrund über das Internet Zugang zu Bildung und Kommunikation haben. Die wiederholte Abschaltung löst nicht nur Angst aus, sondern trägt massiv zur Einschränkung bei. Mädchen, Frauen und marginalisierte Menschen können dadurch nicht einmal mehr digital an Bildung, Austausch und am öffentlichen Leben teilhaben.

Sie werden ihrer letzten Kommunikationswege beraubt, während die Taliban unbemerkt ein paralleles Kommunikationsnetzwerk aufgebaut haben, sodass sie selbst in Verbindung bleiben. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Einschränkungen der öffentlichen Kommunikationswege sich wiederholen werden, um die afghanische Bevölkerung besser zu kontrollieren und die Taliban-Interessen verdeckt und ohne Widerspruch durchzusetzen.

In Afghanistan herrscht von den Taliban gewollt: Gender-Apartheid. Mädchen, Frauen und Mitglieder anderer marginalisierter Gruppen (etwa der LGBTQIA+ Community) werden als Menschen zweiter Klasse betrachtet und gewaltsam unterdrückt. Es besteht kein Zweifel am Ernst der Lage oder der Grausamkeit der Taliban-Herrschaft.

Trotz der prekären menschenunwürdigen Situation in Afghanistan, haben Sie gerade zwei Vertreter der Taliban als diplomatische Akteure akkreditiert. Sie senden damit ein alarmierendes Signal – Anerkennung und Immunität für ein Regime, das die Macht illegal und gewaltsam übernommen hat und fortlaufend gegen internationale Menschenrechtsnormen verstößt.

Deutschland hat sich dem Völkerrecht, CEDAW und der Agenda 2030 verpflichtet. Die Beseitigung von Ungleichheiten, insbesondere mit Blick auf die Gleichstellung der Geschlechter, ist eines der zentralen Anliegen der G7- und G20-Staaten, zu denen Deutschland zählt.

Unsere Forderungen an Sie:

  1. Keine Legitimierung des Taliban-Regimes: Die effektive Herrschaftsgewalt der Taliban in Afghanistan scheint derzeit weitgehend gefestigt. Das darf die deutsche Regierung nicht hinnehmen. Setzen Sie sich für universelle Menschenrechte ein und verweigern Sie die Anerkennung der Taliban unter allen Umständen.
  2. Schutz gefährdeter Menschen, insbesondere Mädchen und Frauen: Es dürfen keine Rückführungen nach Afghanistan stattfinden. Ebenso dürfen keine Abschiebungen in Drittstaaten erfolgen, in denen Betroffene weiter systematischer Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind.
  3. Anerkennung der Gender-Apartheid als Verbrechen gegen Menschlichkeit: Gender-Apartheid muss in die Konvention zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgenommen werden.
  4. Unverzügliche Aufnahme aller Menschen aus Afghanistan, insbesondere Mädchen und Frauen, die eine humanitäre Aufnahmezusage von Deutschland erhalten haben. Bisherige Anstrengungen müssen verstärkt und Maßnahmen müssen beschleunigt werden.
  5. Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen und internationaler Zusammenarbeit: Die Sicherheit und der Schutz der afghanischen Bevölkerung sollten in den Blick internationaler Kooperationspartner genommen werden. Deutschland muss für die Einhaltung der Menschenrechte, Zugang zu Bildung und Gewährung der Meinungsfreiheit aller Menschen in Afghanistan eintreten.
  6. Zukunft in Afghanistan stärken: Einberufung einer Afghanistan-Konferenz mit Afghaninnen, afghanischen marginalisierten Menschen und ExpertInnen aus der Zivilgesellschaft.

Deutschland ist ein Staat, in dem Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und universelle Menschenrechte zu den höchsten Gütern gehören. Damit steht es in besonderer Verantwortung, sich der systematischen Unterdrückung von Mädchen, Frauen und allen marginalisierten Menschen durch die Taliban entgegenzustellen. Diese Unterdrückung dürfen Sie nicht im Namen der Diplomatie legitimieren.

Wir bitten Sie, sich persönlich und mit aller Entschlossenheit für die Wahrung der Menschenrechte in Afghanistan einzusetzen. Nutzen Sie alle zur Verfügung stehenden Mittel, um Mädchen, Frauen und alle marginalisierten Menschen in Afghanistan zu schützen und zu stärken.

Unterzeichnet von:

TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau e.V. (Initiatorin)

ACAT-Deutschland e.V. (Aktion der Christen für die Abschaffung der Folter)

Afghanistan-Schulen e.V.

Beratung + Leben GmbH

Bundesverband der Vietnamesischen Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland

Climate Activist Defenders

ECPAT Deutschland e.V.

EWMD Deutschland e. V.

Hirschfeld Eddy Stiftung

Kabul Luftbrücke

Kindernothilfe e. V. 

Lichtbrücke e.V.

LSVD⁺ – Verband Queere Vielfalt

medica mondiale e.V.

Nürnberger Menschenrechtszentrum e.V.

Verband afghanischer Organisationen in Deutschland (VAFO) e.V.

Weltgebetstag der Frauen - Deutsches Komitee e.V.

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