Parlamentarische Morgenrunde: Nordisches Modell als Lösung gegen sexuelle Ausbeutung
Am 18. Oktober 2024 luden TERRE DES FEMMES (TDF) und die Schirmherrinnen Leni Breymaier (SPD) und Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) Mitglieder des deutschen Bundestages und der Landtage zu einer Parlamentarischen Morgenrunde ein, um über die Einführung des Nordischen Modells in Deutschland zu sprechen. Dieses Modell zielt darauf ab, den Kauf sexueller Dienstleistungen zu kriminalisieren, Prostituierte zu entstigmatisieren, Ausstiegshilfen zu bieten und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, um sexuelle Ausbeutung zu bekämpfen. Rund 30 Abgeordnete diskutierten in dieser einstündigen digitalen Veranstaltung die Chancen und Herausforderungen dieser wichtigen Gesetzesinitiative.
Reformversprechen gescheitert: Legalisierung der Prostitution verschärft die Ausbeutung
In ihrer Eröffnung machten Sina Tonk (Bereichsleitung Referate TDF), Leni Breymaier und Elisabeth Winkelmeier-Becker deutlich, dass die Legalisierung der Prostitution im Jahr 2002 ihr Ziel, den Schutz der betroffenen Frauen zu verbessern, verfehlt hat. Stattdessen habe sie das Gegenteil bewirkt, indem sie ZuhälterInnen und Sexkäufern die Ausbeutung von Frauen erleichterte. Winkelmeier-Becker betonte: „Selbstbestimmung ist in den realen Umständen der Prostitution ein Fremdwort. Von den wenigen Lobbyistinnen, die in den Talkshows sitzen, wird das zwar häufig in den Vordergrund gestellt, aber wir wissen, dass das eine Illusion ist.“ Jara Anouk vom Netzwerk Ella bestätigte diese Einschätzung: „Im Milieu gibt es eigene Gesetze. Die Zuhälter lachen über das, was die Politik macht. Die Liberalisierung führt nur dazu, dass sie mehr Frauen holen.“
Die Stimmen der Betroffenen: „Prostitution ist keine freie Wahl“
Den bewegendsten Teil der Veranstaltung eröffneten Julia und Annalena, zwei Frauen, die von Zwangsprostitution betroffen waren. Julia berichtete davon, bereits mit 12 Jahren in die Prostitution gezwungen worden zu sein, und schilderte gescheiterte Versuche, diesem Kreislauf zu entkommen. Annalena, Betroffene der sogenannten Loverboy-Methode, schilderte ihre emotionale und sexuelle Ausbeutung. Beide Frauen machten klar: Das aktuelle System schützte sie nicht.
Julia betonte, dass es die Männer sind, die zur Verantwortung gezogen werden müssen, nicht die Frauen. Sie kritisierte das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) von 2017 als wirkungslos: „Die Gesundheitsgespräche helfen uns nicht, und viele Frauen, die Hilfe brauchen, werden nicht erreicht.“ Auch das UN-Komitee CEDAW äußerte 2023 Zweifel an der Wirksamkeit des Gesetzes und forderte stärkere Maßnahmen zur Reduzierung der Nachfrage nach Prostitution. Beide Frauen forderten daher das Nordische Modell, das den Sexkäufer kriminalisiert und es Frauen erleichtert, echte Hilfsangebote zu bekommen und auszusteigen.
Das Nordische Modell: Männer in die Pflicht, Frauen in den Schutz
Sophia Dykmann, Referentin Frauenhandel und Prostitution bei TERRE DES FEMMES, hob die Effizienz des Nordischen Modells als Schutz gegen sexuelle Ausbeutung hervor. Schweden und Norwegen hätten durch das Modell eine signifikante Verringerung von Menschenhandel und der Nachfrage nach Prostitution erreicht. „Gendergerechtigkeit verlangt weit mehr als den Schutz marginalisierter Gruppen. Wir müssen konsequent diejenigen zur Verantwortung ziehen, die von der Ausbeutung weiblicher Körper profitieren, und das sind in diesem Fall Sexkäufer, ZuhälterInnen und Bordellbetreibende. Andernfalls bleibt unser Einsatz auf struktureller Ebene wirkungslos“, erklärte Dykmann.
Das Modell signalisiere klar, dass Männer keine Verfügung über die Sexualität von Frauen haben sollten und trage zur Entstigmatisierung bei: Frauen würden nicht länger kriminalisiert oder als Objekte betrachtet. Es wurde zudem das Argument widerlegt, dass das Nordische Modell Frauen ins Dunkelfeld drängen würde. Die Bedingungen für Prostituierte seien bereits jetzt prekär, und viele arbeiteten ohne ausreichenden Schutz. Das Nordische Modell könne das Milieu verkleinern und somit eine gezieltere Strafverfolgung ermöglichen. Zudem erfahre das Nordische Modell einen zunehmenden institutionellen Rückhalt: 2024 stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass das Sexkaufverbot mit den Menschenrechten vereinbar ist, und 2023 erkannte das EU-Parlament Prostitution als Gewalt an.
Apell an die Politik: „Wo bleibt die klare Antwort der Abgeordneten?“
Jara Anouk vom Netzwerk Ella, einer Interessensvertretung von Frauen aus der Prostitution, richtete einen dringenden Appell an die Abgeordneten – insbesondere an jene, die das Nordische Modell ablehnen: „Wenn Sie dagegen sind, sagen Sie uns, warum! Warum halten Sie an einem System fest, das uns ausbeutet?“
Trotz ihres eindringlichen Aufrufs blieben klare Antworten aus. Anouk machte deutlich, dass Prostitution meist durch sozialen und wirtschaftlichen Zwang entsteht und die Idee der freiwilligen Entscheidung oft eine Illusion ist. Sie forderte die Politik auf, den Schutz der Frauen zu priorisieren und reale Ausstiegsperspektiven zu schaffen.
Jetzt ist die Zeit für Veränderung: Die Bundesregierung muss handeln
Die Diskussion zeigte eindrucksvoll, dass das bestehende System in Deutschland Prostituierte nicht ausreichend schützt. Die Berichte der Betroffenen sowie die klaren Argumente von TERRE DES FEMMES machten deutlich: Das Nordische Modell bietet eine echte Chance, die Verantwortung auf die Sexkäufer zu verlagern und den betroffenen Frauen einen Ausweg zu ermöglichen.
Der Aufruf an die Politik bleibt deutlich: Prostitution ist Gewalt, und es ist an der Zeit, das anzuerkennen und entschlossen zu handeln. TERRE DES FEMMES bleibt weiter engagiert und setzt sich dafür ein, das Nordische Modell in Deutschland zu etablieren. Der Tenor der Veranstaltung war unmissverständlich: Gewalt gegen Frauen darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben.