Krieg gegen Mädchen und Frauen – es besteht Handlungsbedarf!
Destabilisieren und demoralisieren
Seit Jahrhunderten wird sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe eingesetzt: von den „Trostfrauen“ im Zweiten Weltkrieg über den Konflikt im Kongo bis hin zu dem Krieg in der Ukraine und den Überfällen der Hamas.
Die Gewalt trifft meist Mädchen und Frauen und soll die Gemeinschaft destabilisieren und demoralisieren. Sie ist Folge fortbestehender patriarchaler Strukturen und hinterlässt auch in der Nachkriegszeit sichtbare nachhaltige Spuren.
„Vergewaltigungen in kriegerischen Auseinandersetzungen hat es gegeben, seit es das Patriarchat gibt.“ erklärt Prof. Dr. Godula Kosack, ehemalige Vorstandvorsitzende von TDF. Geschichtlich betrachtet stellt sexualisierte Kriegsgewalt ein Kontinuum dar, das verharmlost oder als Normalität betrachtet wurde. Schon vor Jahrhunderten wurden Mädchen und Frauen zur „Beute“ degradiert, die in Kriegen durch Männer geraubt wurde. Während des Zweiten Weltkrieges verschleppte zum Beispiel das japanische Militär mindestens 200.000 Frauen, sogenannte „Trostfrauen“ aus verschiedenen Ländern, die in Bordellen zwangsprostituiert wurden.1 Allgemein erlebten Mädchen und Frauen im Zweiten Weltkrieg von allen Kriegsparteien sexualisierte Gewalt.2 Ein öffentliches Bewusstsein für sexualisierte Gewalt, welche dann auch als systematische Kriegswaffe eingeordnet wurde, entstand erstmals in den 1990er Jahren in Folge des Genozids in Ruanda und in Bosnien-Herzegowina. Während des Völkermordes in Ruanda wurde laut Schätzung 250.000 bis 500.000 Frauen vergewaltigt; in Bosnien-Herzegowina waren es 20.000 bis 50.000 Frauen, die betroffen waren.3 Auch im Zweiten Kongokrieg (1998-2003) wurde Vergewaltigung als Kriegswaffe eingesetzt, hundertausendfach waren Mädchen und Frauen betroffen.4
Sexualisierte Kriegsgewalt ist keinesfalls eine historische Erscheinung. Die sexualisierte Gewalt in den kongolesischen Konflikten hält bis heute an, bestimmt, schränkt ein und zerstört das Leben der Mädchen und Frauen.5 Während des Völkermords des Islamischen Staats an den JesidInnen im Irak im Jahr 2014 fanden ebenfalls Massenvergewaltigungen und sexuelle Versklavung von jesidischen Mädchen und Frauen statt.6 Der brutale Einsatz sexualisierter Kriegsgewalt gegen Mädchen und Frauen ist leider aktueller denn je: 2022 wurde bekannt, dass in Butscha in der Ukraine sexualisierte Gewalt durch russische Soldaten stattgefunden hatte, 2023 erschütterte der Terrorangriff der Hamas auf Israel und die damit verbundene extreme Gewalt gegen Mädchen und Frauen.
Ursachen: Patriarchale Machtstrukturen und militärische Taktiken
Die Ursachen für sexualisierte Kriegsgewalt sind vielfältig und doch können sie auf hegemoniale und patriarchale Strukturen zurückgeführt werden. Entscheidend ist, wie die militärische Befehlsriege auf sexualisierte Gewalt durch die eigenen Soldaten reagiert. Wird sie akzeptiert, explizit befohlen oder ist sie strikt verboten? Ist sie vielleicht nicht offiziell angeordnet, wird aber belohnt, wie zum Beispiel Putin es mit den Soldaten getan hat, die in Butscha die Bevölkerung terrorisiert haben? Als Kriegswaffe oder -taktik wird sexualisierte Gewalt zur Umsetzung militärischer Absichten, insbesondere im Rahmen von Genoziden, ethnischen Säuberungen und Vertreibungen eingesetzt. Man geht davon aus, dass sexualisierte Kriegsgewalt in diesem Fall aktiv und systematisch von militärischen Befehlshabern taktisch eingesetzt wird, um die Moral in der eigenen Armee aufrechtzuerhalten und die größtmögliche Zerstörung in der feindlichen Gesellschaft zu hinterlassen. Häufig folgen die Soldaten jedoch keinen direkten Befehlen, sondern Vergewaltigungen sind viel mehr Ausdruck einer Situation, in der Kontrollen und Hemmschwellen nicht existieren. Eine schwächelnde Rechtsstaatlichkeit und der Zerfall sozialer und moralischer Strukturen in Folge eines Krieges, sowie die beim Militär gelernte Assoziierung von Gewalt und Männlichkeit sind Gründe, warum Männer sexualisierte Kriegsgewalt ausüben. Die Täter müssen in fast allen Fällen keine Strafverfolgung fürchten, patriarchale Machtstrukturen werden verstärkt und Männer in ihrer hegemonialen Männlichkeit durch ihren militärischen Dienst und ihre Überlegenheit bestätigt.7 Das patriarchale Machtgefälle, das auch schon vor einem Krieg existiert, wird amplifiziert und befeuert das Ausarten der sexualisierten Gewalt gegen Mädchen und Frauen, denn wenn „Männer in eine Machtposition kommen, weil sie eine Waffe tragen, Schutz und Sicherheit versprechen und gleichzeitig keine Konsequenzen fürchten müssen, steigt die Gefahr sexualisierter Übergriffe“.8 Treiber für sexualisierte Kriegsgewalt sind zwar die militärischen Befehlshaber und die kriegerische Situation, die Ursache liegt aber vielmehr in den allgemeinen patriarchalen Gesellschaftsstrukturen, die durch gewaltvolle Konflikte verschärft werden.
Ausgrenzung von Betroffenen und Zerstörung der Gesellschaft als Erbe der Gewalt
Sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe soll Gemeinschaften destabilisieren und terrorisieren. Patriarchale Strukturen und Vorstellungen sind in allen Gesellschaften und Kriegsparteien vorhanden und schaffen so ein ähnliches Konstrukt männlicher Ehre und Besitzansprüche. Die Täter demonstrieren durch das Ausüben sexualisierter Gewalt ihre Dominanz gegenüber den feindlichen Männern und demütigen sie durch die Kränkung der Ehre und Männlichkeit, da sie ihre Familienmitglieder nicht schützen konnten.9
„Für die Frauen dieser Gesellschaften ist es unabdingbar, dass sie lebenslänglich nur einem Mann „gehören“. Eine Frau, die ein anderer Mann „besessen“ hat, ist auf alle Zeiten gezeichnet und „unbrauchbar“ gemacht für die Fortpflanzung der Gesellschaft.“ (Prof. Dr. Godula Kosack).
Die Frauen sind im Zuge sexueller Übergriffe oft von Ausgrenzung betroffen, da sie "entehrt" sind. Sie erfahren Stigmatisierung und Vertreibung. So hält die Gewalt gegen sie auch nach den Kriegen an. Darüber hinaus leiden die Betroffenen unter einer Vielzahl von körperlichen und psychischen Folgen, nachdem sie sexualisierte Kriegsgewalt erfahren haben, wie posttraumatischen Belastungsstörungen oder Depressionen, aber auch Unfruchtbarkeit und Schmerzen. Das Leiden setzt sich in den nachfolgenden Generationen fort. Kinder, die durch erzwungene Schwangerschaften entstehen, sind ebenso von Ausgrenzung betroffen, und das Trauma, das durch sexualisierte Kriegsgewalt an Mädchen und Frauen verursacht wird, vererbt sich häufig über zahlreiche Generationen. Ganze Gesellschaften werden so in ihrer sozialen und wirtschaftlichen Funktion nachhaltig beeinträchtigt.10
Rechtliche Grundlagen und Strafverfolgung - sexualisierte Gewalt ist keine "Begleiterscheinung" von Kriegen
Vergewaltigung und andere Formen sexualisierter Kriegsgewalt können durch das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), das am 17. Juli 1998 verabschiedet wurde, als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit geahndet werden. Sie stellen Menschenrechtsverletzungen dar.11 Frauenrechtsaktivistinnen haben vor allem seit den 1970er Jahren sexualisierte Kriegsgewalt immer wieder in den politischen Diskurs gerückt und sich dafür eingesetzt, dass sie NICHT als normale „Begleiterscheinung“ von Kriegen angesehen wird.
Die Völkermorde in Bosnien-Herzegowina und Ruanda waren ausschlaggebend für die Betrachtung sexualisierter Gewalt als Kriegswaffe und für politische und strafrechtliche Veränderungen. Bevor das Römische Statut verabschiedet wurde, hat bereits die Weltfrauenkonferenz 1995 in Beijing eine Erklärung veröffentlicht, die erstmals den Einsatz von sexualisierter Gewalt gegen Mädchen und Frauen in Kriegen als systematisch bezeichnet.12 Darüber hinaus erklärte der UN-Sicherheitsrat im Jahr 2000 mit der Resolution 1325 „Frauen, Frieden, Sicherheit“, dass Frauen vor sexualisierter Kriegsgewalt geschützt werden und aktiv in Friedensprozesse eingebunden werden müssen. Im Jahr 2008 folgte daraufhin die UN-Resolution 1820, die sexualisierte Gewalt das erste Mal als Kriegstaktik und -waffe anerkannte und die Nationen aufforderte diese strafrechtlich zu verfolgen.13
Obwohl diese rechtlichen Grundlagen existieren, sind Prozesse zu sexualisierter Kriegsgewalt vor dem Internationalen Strafgerichtshof selten. Oftmals fehlen die Beweise, da die Verbrechen nicht dokumentiert werden und Täter können nicht ermittelt werden. Zudem ist es schwierig konkrete Befehlsketten im Militär nachzuweisen.14
Gewaltbetroffene Mädchen und Frauen werden vergessen statt geschützt
Gerechtigkeit gibt es für betroffene Mädchen und Frauen nur selten. Ihr Leid und ihre Rechte rücken in den Hintergrund und werden vergessen – sie werden mit ihren Schmerzen und ihrem Trauma allein gelassen. Umso wichtiger ist es, den Betroffenen zu zeigen, dass sie nicht allein sind und aktiv für Frauenrechte einzustehen.
Die patriarchalen Strukturen, die schon vor Konfliktsituationen bestehen, sind die Grundlage für sexualisierte Kriegsgewalt. Wenn Mädchen und Frauen geschützt werden sollen, muss auch in friedlichen Zeiten geschlechtsspezifische Gewalt bekämpft und die Gleichstellung der Geschlechter gefördert werden.
„Seit Städte bombardiert wurden und damit mindestens so viele zivile Opfer wie gefallene Soldaten zu beklagen sind, werden die Kriege weitgehend auf dem Rücken der Frauen und auch der Kinder ausgetragen. Sie werden zum Ziel von Genozid, indem sie entweder direkt umgebracht werden, indem ihnen die Lebensgrundlage (Lebensmittel, Häuser, Wasser oder Strom) entzogen wird oder indem sie zur Zielscheibe der perfiden „Vergewaltigung als Kriegswaffe“ werden. Jeder Krieg ist ein Krieg gegen die Frauen! (Sofi Oksanen) Deshalb ist es unabdingbar, dass Frauen in alle Friedensverhandlungen einbezogen werden, denn sie haben das größte Interesse am Frieden.“ (Prof. Dr. Godula Kosack)
TERRE DES FEMMES richtet sich entschieden gegen jeden Krieg
Dass sexualisierte Gewalt international als Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzung anerkannt wurde, ist unabdingbar. Darüber hinaus fordern wir:
- Die lückenlose Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt als Kriegsverbrechen
- Die Anerkennung von und Unterstützung für die Betroffenen von sexualisierter Kriegsgewalt
- Das Ende der Straflosigkeit, durch konsequente strafrechtliche Verfolgungen
- Die Umsetzung der UN-Resolution 1325 Frauen, Frieden und Sicherheit
- Den Erhalt und die Schaffung von Gedenkorten und Mahnmälern für die Betroffenen sexualisierter Kriegsgewalt im öffentlichen Raum, wie z.B. den Erhalt der Trostfrauenstatue „Ari“ des Korea Verbands in Berlin Moabit
Quellen:
[1] https://koreaverband.de/trostfrauen/
[3] https://frieden-sichern.dgvn.de/meldung/sexuelle-gewalt-in-konflikten-eine-bleibende-herausforderung
https://medicamondiale.org/service/glossar/sexualisierte-kriegsgewalt
https://www.deutschlandfunk.de/ukraine-krieg-sexualisierte-gewalt-100.html
https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/09589236.2012.726603?scroll=top&needAccess=true
https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/09589236.2012.726603?scroll=top&needAccess=true
https://medicamondiale.org/gewalt-gegen-frauen/sexualisierte-kriegsgewalt
[10] https://medicamondiale.org/gewalt-gegen-frauen/sexualisierte-kriegsgewalt
[12] https://www.un.org/depts/german/conf/beijing/anh_2_5.html
[14] https://www.deutschlandfunk.de/ukraine-krieg-sexualisierte-gewalt-100.html