Unzureichende Finanzierung: Lässt der Staat gewaltbetroffene Frauen im Stich?
Der Verbesserung des Gewaltschutzes ist längst überfällig
Sowohl das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), als auch die CDU/CSU Fraktion haben in den vergangenen Monaten einen Entwurf für die Verbesserung des Gewaltschutzes von Frauen vorgelegt. Die Entwürfe verfolgen unterschiedliche Ansätze. TERRE DES FEMMES begrüßt die konkreten Vorschläge zur Verbesserung des Gewaltschutzes, die leider schon längst überfällig sind. Vor allem durch fehlende finanzielle Unterstützung für Schutzangebote und Prävention sind täglich tausende Frauen und Kinder in Gefahr. Neben der Frage, welche Maßnahmen konkret umgesetzt werden, bleibt deshalb nun auch zu klären, ob die Bundesregierung zukünftig eine ausreichende Finanzierung zur Verfügung stellen wird. Erst dann wird sich zeigen, ob es der Politik wirklich Ernst ist mit dem Schutz von Frauen vor Gewalt.
Gesetze umsetzen: Die Istanbul Kovention ist bereits geltendes Recht in Deutschland seit 2018
Klar ist, dass Deutschland unbedingt mehr tun muss, um Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen. Dazu besteht eine Verpflichtung durch die Istanbul Konvention, die in Deutschland geltendes Recht ist. Auch die Polizeiliche Kriminalstatisitik spricht für sich: Die Zahl der Betroffenen von Partnerschaftsgewalt ist in den letzten fünf Jahren um fast 20 Prozent angestiegen. 2023 waren 132.949 Frauen von Partnerschaftsgewalt betroffen (BKA). Das Dunkelfeld ist riesig. Fast jeden zweiten Tag kommt es zum Mord an einer Frau durch ihren (Ex-) Partner.
Zwischen Schutz und Existenzangst: Frauenhäuser am Limit
Viele der betroffenen Frauen und ihre Kinder erhalten derzeit keinen ausreichenden Schutz. 14.000 Frauenhausplätze fehlen gemäß den Vorgaben der Istanbul Konvention in Deutschland. Und selbst die bestehenden Einrichtungen sind nicht ausreichend finanziert. Viele Frauenhäuser können nur dank der Unterstützung ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen den Betrieb rund um die Uhr aufrechterhalten. Frauen ohne Anspruch auf Sozialleistungen – darunter Studentinnen, Frauen mit Einkommen und Gruppen von EU-Bürgerinnen – müssen ihren Aufenthalt oft selbst finanzieren, was für viele unmöglich ist. Der Eigenanteil für Betroffene beträgt je nach Standort 15 – 150 EURO pro Tag pro Person[1]- für viele eine unüberwindbare Hürde. Stromkosten und Essen sind im Tagessatz nicht enthalten[2]. Frauen, denen das Recht auf Schutz verwehrt wird, werden dazu gezwungen entweder zum Täter zurückzukehren, in versteckter Obdachlosigkeit zu leben, also bei FreundInnen oder Verwandten Zuflucht zu suchen, oder komplett obdachlos zu werden.
Auch Fachberatungsstellen sind von der mangelnden Finanzierung betroffen- sie müssen derzeit 25 Prozent ihrer Kosten selbst aufbringen[3]. Bereits der GREVIO-Bericht forderte 2022 dringend Maßnahmen, um diese unhaltbaren Zustände zu beenden und sicherzustellen, dass jede Frau, die Schutz sucht, ihn auch erhält. Es braucht sofort mehr finanzielle Unterstützung und verbindliche, bundesweit einheitliche Regelungen, um Frauenhäuser und Fachberatungsstellen in ihrer wichtigen Arbeit zu stärken.
Unterschiedliche Ansätze beim Gewaltschutz
Die Bundesregierung und die CDU/CSU Fraktion verfolgen beim Gewaltschutz unterschiedliche Ansätze. Das BMFSFJ möchte den im Koalitionsvertrag 2021 „bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für eine verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern“ umsetzen. Dabei sollen Beratungs- und Schutzangeboten für Betroffene geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt ausgebaut und ausreichend finanziert, sowie ein Schwerpunkt auf Täterarbeit und Prävention gelegt werden. Die CDU/CSU setzt indessen auf strafrechtliche Maßnahmen, wie die Verschärfung von Strafen und den Einsatz der elektronischen Fußfessel. TERRE DES FEMMES e. V. (TDF) fordert die Regierung auf schnell zu handeln und ihrer Verpflichtung gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kinder gegenüber nachzukommen.
Jetzt das Gewalthilfegesetz umsetzen
TDF setzt sich dabei in erster Linie für die Umsetzung des Gewalthilfegesetzes gemäß dem Entwurf des BMFSFJ ein. In erster Linie müssen Schutz- und Beratungsangebote flächendeckend ausgebaut werden. Auch den Ausbau von Täterarbeit und Präventionsmaßnahmen befürwortet TDF. Aus dem Entwurf der CDU/CSU ist vor allem der Einsatz der elektronischen Fußfessel begrüßenswert. Strafverschärfende Maßnahmen hält TDF nicht für ausreichend, um geschlechtsspezifische Gewalt zu bekämpfen. Die Istanbul Konvention als auch die im Mai 2024 in Kraft getretenen EU-Gewaltschutzrichtlinie geben Schutzstandards vor, denen Deutschland momentan noch nicht ausreichend nachkommt.
Essenziell ist aber, dass die nun vorgeschlagenen Maßnahmen auch ausreichend finanziert werden. Darüber wird in den Haushaltsverhandlungen entschieden. TDF fordert die Regierung auf hier ihren eindeutigen politischen Willen unter Beweis zu stellen.
Milliardenverlust durch Gewalt – aber nur 3 Euro pro Kopf für Hilfesysteme
Auch aus wirtschaftlicher Sicht ist die im Koalitionsvertrag angekündigte flächendeckende Finanzierung von Beratungs- und Schutzangeboten sinnvoll. Denn die „Einsparungen“ durch mangelnde Präventions- und Gewaltschutzmaßnahmen gehen nicht nur zu Lasten gewaltbetroffener Frauen, sondern betreffen die gesamte Gesellschaft. Die gesellschaftlichen Folgekosten von häuslicher und sexualisierter Gewalt gegen Frauen belaufen sich laut einer Studie des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (EIGE) in Deutschland auf ca. 54 Milliarden Euro pro Jahr und damit auf 148 Millionen Euro pro Tag. Die hohen Kosten entstehen unter anderem im Gesundheitssystem, bei der Polizei und Justiz und durch Arbeitsausfälle der betroffenen Personen. Nur ein unzureichend geringer Teil der 54 Milliarden wird bisher für die staatliche Finanzierung von Unterstützungsangeboten, wie Fachberatungsstellen, aufgewendet. Ohne die versprochenen Verbesserungen bei Gewaltprävention und -schutz werden Partnerschaftsgewalt und deren Folgekosten weiterhin ansteigen. Im Vergleich sind die derzeitigen Kosten für Beratungsstellen und Frauenhäuser lächerlich gering. Eine Studie des BMFSFJ zeigt, dass im Jahr 2022 die Gesamtausgaben für das Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer Gewalt bei 270,5 Millionen Euro lagen – umgerechnet nur 3 Euro pro EinwohnerIn in Deutschland. Von diesen Mitteln gingen lediglich 98 Millionen Euro an Fachberatungsstellen[4].
Mehr Geld für Beratungsstellen und Frauenhäuser ist dringend nötig – nicht nur aus moralischer und rechtlicher Sicht (Istanbul Konvention), sondern auch aus wirtschaftlicher Vernunft. Jeder investierte Euro hilft Folgekosten einzusparen, indem Gewalt effektiv verhindert und Betroffene besser unterstützt werden.
TERRE DES FEMMES unterstützt zudem die Petition der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF), die den Bundeskanzler Olaf Scholz, den Bundesfinanzminister Christian Lindner, die Bundesfamilienministerin Lisa Paus und die Bundesregierung dazu auffordern, Schutz und Unterstützung endlich für alle gewaltbetroffenen Frauen zu ermöglichen. Mit Hilfe der Petition ruft die ZIF die politisch Verantwortlichen dazu auf zu handeln und das geplante Gewalthilfegesetz mit ausreichenden Bundesmitteln auszustatten.
Weiterführende Links:
→ Unsere Forderungen zum Thema Häusliche Gewalt
[1] Bundesweite Frauenhaus-Statistik 2022, S. 7
[2] taz.de/Frauen-muessen-fuer-Frauenhaeuser-zahlen/!5981278/
[3] www.frauen-gegen-gewalt.de/de/aktionen-themen/finanzierung-von-hilfe/kostenstudie-zum-hilfesystem-bei-geschlechtsspezifischer-gewalt.html
[4] www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/kostenstudie-zum-hilfesystem-fuer-betroffene-von-haeuslicher-und-geschlechtsspezifischer-gewalt-240218