Interview mit Sarah Meier

TDF: Frau Meier, Sie haben sich vor einigen Jahren von Ihrem Ex-Partner und Vater Ihres Kindes getrennt und erleben nun Nachtrennungsgewalt. Wie kam es denn überhaupt zur Trennung?

Sarah Meier[1]: Mein Ex-Freund und ich waren nie verheiratet, aber 16 Jahre zusammen. Wir hatten eigentlich keine Probleme, haben nicht gestritten und wurden nie laut. Es lief immer alles so dahin. Und dann kam unser Sohn zur Welt. Ich hatte davor eine relativ späte Fehlgeburt gehabt, das Kind war gestorben und da hatten wir beide sehr dran zu arbeiten. Dann kam David, der ein absolutes Wunschkind war. Natürlich hat seine Geburt viel verändert. Die Partnerschaft zwischen mir und meinem Ex-Partner wurde zunehmend schwieriger. Er hat sich immer mehr zurückgezogen, hat sich auch sehr aus der Verantwortung genommen, was das Kind anging. Wir haben in der Zeit vor der Geburt vier Jahre sein Elternhaus saniert und haben alle in zwei verschiedenen Parteien im selben Haus gewohnt. Die Eltern waren immer mehr involviert und es kam auch zu Grenzüberschreitungen. Es ging um Erziehungsthemen und da ich selbst Erzieherin bin, war das für mich herausfordernd. Dann habe ich erfahren, dass mein Ex-Partner mich betrügt. Wir haben beschlossen, an unserer Beziehung zu arbeiten, aber für mich war sie seitdem auf unsicherem Grund, auch wenn es Momente gab, in denen ich dachte, es würde besser werden. Da war unser Sohn fast vier.

David war und ist bis heute ein sehr forderndes Kind. Inzwischen wurde er mit ADHS und LAS diagnostiziert. Damals war das aber alles noch nicht klar. Er beanspruchte viel Zeit und mein Ex-Partner hielt sich bei den verschiedenen Terminen mit Fachleuten für Untersuchungen immer raus.

Obwohl ich ihn bei der Gründung seiner Firma unterstützt hatte, die ihr Büro in unserem Haus hatte, parallel dazu meinen eigenen Beruf ausübte und mich um unser Kind kümmerte, fühlte er sich in unserem Zuhause eingeengt. Von heute auf morgen meinte er also zu mir, dass er ausziehe, was er drei Wochen später auch tat.

Ich meinte, dass es okay sei und wir schauen, wo es hingeht. Das ging so weiter, bis ich körperlich an meine Grenzen kam, mit massiven gesundheitlichen Problemen und ständigen Infektionen. So verbrachten wir fast ein Jahr zusammen, machten Ausflüge mit unserem Kind, während er bereits die ganze Zeit mit einer anderen Frau zusammen war. Als das herauskam, entschied ich mich auszuziehen. Da begannen erst die eigentlichen Probleme.

TDF: Das heißt es war keine gewaltvolle Beziehung, aber eine schwierige Beziehung, in der Sie nie die Unterstützung erhalten haben, die Sie gebraucht hätten und ihr Ex-Partner Sie auch betrogen hat?

Sarah: Genau. Ich war immer allein. Seine Eltern und meine Familie hatte ich zwar als Rückhalt, aber ihn eigentlich gar nicht. Erst in diesem Jahr nach der Trennung war er mehr involviert. Manchmal wurde ich laut, weil er mich mit dem Haus allein gelassen hat und ich zu der Zeit 50 Prozent gearbeitet und das Haus bezahlt habe. Oder wenn wieder eine seiner Frauengeschichten rauskam. Teilweise haben die Frauen mich kontaktierten und mir von ungeschütztem Sex berichtet. Dann wurde er auch laut und hat mich an den Handgelenken gepackt. Das kannte ich von ihm nicht. Die darauffolgenden Jahre folgte jedoch die für mich weitaus größere Gewalt.

TDF: Und wie sieht diese Gewalt aus, die sie seit der Trennung erleben?

Sarah: Mein Ex-Partner ist immer in meinem Leben, er drangsaliert mich, wo er kann, auch über unseren Sohn, obwohl ich versuche alles friedlich zu regeln. Im Prinzip bin ich mit allem allein, muss aber gleichzeitig durch das gemeinsame Sorgerecht für alle Entscheidungen seine Einwilligung holen. Ich tue das, obwohl er oft behauptet, ich würde ihn über bestimmte Sachen nicht informieren und leugnet erbrachte Unterschriften und Zustimmungen. Meistens geht es dabei um Dinge, wegen derer er mir mit dem Jugendamt drohen kann. Zusätzlich zieht er Entscheidungen, egal wie wichtig sie sind, in die Länge, ignoriert und löscht meine WhatsApp-Nachrichten, behauptet sein E-Mail-Account wurde gehackt und droht mir, mich zu blockieren. Als ich anfing Screenshots zu machen, schickte er nur noch Sprachnachrichten oder ließ unseren Sohn Nachrichten übermitteln.

Wir sollten beide mit zur Therapie unseres Sohnes, doch die Therapeutin brach die Sitzung mit der Begründung ab, dass sie mit meinem Ex-Partner nicht arbeiten könne. Dasselbe passierte bei der Familienberatungsstelle und beim Jugendamt, wo er keinerlei Einsicht zeigte.

Außerdem hält er sich nicht an Abmachungen und es ist schwer überhaupt welche zu treffen. Wir haben ausgemacht, dass er David alle 14 Tage am Wochenende und einmal unter der Woche nimmt. Er sagt oft spontan ab, wenn er keine Lust oder Zeit hat und sagt David dann, ich sei schuld. Ich muss mich dann um meinen weinenden Sohn kümmern, der sich zurecht abgelehnt fühlt. Mein Ex-Partner hat mir dann geschrieben: "Entweder du funktionierst so, wie ich das will, oder das wird öfters passieren“.

Ich kann mich nicht auf ihn verlassen und muss bei wichtigen geschäftlichen, aber auch privaten Terminen immer einen Plan B haben bzw. immer damit rechnen, dass ich Termine eventuell nicht wahrnehmen kann. Mein Ex kann nicht einmal die Abmachung treffen, ob er David um 13 oder 19 Uhr abholt und sagt dann spontan ab oder die beiden streiten und ich muss an meinem freien Wochenende den Streit schlichten.

Er beleidigt mich zutiefst mit Worten wie „du Fotze“ und das auch vor unserem Sohn, gibt mir die Schuld für Davids ADHS, LAS und die Regulierungsstörungen oder droht damit, alles zu dokumentieren, um David in ein paar Jahren zu erzählen, was ich für eine schlechte Mutter sei.

Diese vielen Kleinigkeiten haben sich über die letzten acht Jahre gehäuft und sind für mich furchtbar. Was er jedoch seinem Kind antut und vorlebt, finde ich viel schlimmer. Auch wenn David mich oft verteidigt – und ich finde es nebenbei gesagt schrecklich, dass er das überhaupt tun muss – sagt er mittlerweile in Streitsituationen schon Sachen wie, dass bei seinem Papa alles besser sei und ich alles falsch mache.

TDF: Haben Sie sich mit Ihrer Situation an die Behörden gewandt? Was war da die Reaktion?

Keine Beratungsstelle hat mich bisher unterstützt. Man sagt mir, dass ich die Füße stillhalten soll. Seitdem ich wieder Vollzeit arbeiten muss, konnte ich die 13 Wochen Schulferien im Jahr mit meinem Urlaub nicht mehr abdecken. Daher habe ich verbindliche Regelungen eingefordert, die mein Ex-Partner nicht einhält. Die Absagen kamen dann von heute auf morgen und wenn ich arbeiten musste, war das mein Problem. Als ich krank war, musste ich mich selbst aus dem Krankenhaus entlassen, weil er unseren Sohn nicht betreuen wollte und damit drohte, ihn einfach vor meine Tür zu stellen. So lebe ich seit Jahren.

Egal wohin ich gehe, um Hilfe und Unterstützung zu bekommen, wird mir gesagt ich müsse deeskalierend sein, Stärke zeigen und für das Kind da sein. Meinen Sohn allein zu erziehen, so lieb wie ich ihn habe, ist jedoch fast unmöglich. Die vielen Termine wie die bei Therapeuten, der Lerntherapie, die Schule, Arztbesuche usw. hängen nur an mir.

Das andere große Thema sind die Finanzen. Mein Ex-Partner ist selbstständig und sagt mir seit acht Jahren sein Gehalt habe sich nicht geändert. Er hat nie seinen Unterhalt erhöht, obwohl ich ihn darum gebeten habe. Ich schaffe das allein nicht. Ich habe drei Jobs, aber das geht so auf Dauer einfach nicht.

TDF: Also er zahlt nicht den vollständigen Unterhalt?

Sarah: Seiner eigenen Auskunft nach hat er basierend auf seinem Gehalt ausgerechnet, dass er nur den Mindestunterhalt schuldig ist. Als dieser dann erhöht wurde, wollte er seine Zahlung nicht dementsprechend anpassen.

TDF: Das heißt also nach gesetzlichen Vorgaben zahlt er zu wenig?

Sarah: Genau. Bei meinen ersten beiden Gesprächen mit dem Jugendamt, bei denen ich mitteilte, dass er nicht ausreichend Unterhalt zahlt, wurde mir geraten den Unterhalt nicht einzufordern. Erst mit der Begründung, dass ich die emotionalen Konsequenzen bedenken müsse und beim zweiten Mal, weil ich ja durch meine Arbeit bereits genug Einkünfte hätte. Ich lebe am Rande einer teuren Universitätsstadt und habe neben meinem Vollzeitjob noch einen Nebenjob, um überhaupt über die Runden zu kommen. Das mache ich seit acht Jahren. Mein gesamtes Erspartes steckt in dem Haus meines Ex-Partners und ich zahle immer noch die Möbel und das Auto ab, die ich nach dem Auszug dort brauchte.

Als das Jugendamt bereit war den tatsächlichen Unterhalt zu ermitteln, lag der Betrag fast beim Dreifachen von dem, was der Kindsvater bisher an mich zahlt. Er hat jetzt einen Anwalt eingeschaltet, wofür ich hingegen nicht die finanziellen Mittel habe. Das Jugendamt hat mir im Nachhinein Recht gegeben, meinte jedoch, dass der Fall nicht eröffnet wird, wenn ich für die Gerichtkosten nicht in Vorkasse gehe. Das ist jetzt in der Schwebe.

Während der Karnevalzeit hat mich mein Ex-Partner auf der Straße, stark angetrunken, vor unserem Kind und vielen weiteren Menschen mit schlimmsten Wörtern beleidigt und meinte ich würde ihn beim Jugendamt durch den Dreck ziehen, weil ich auf seine Kosten leben möchte. Er war dabei sehr körperlich, ging stark auf mich, ohne noch Grenzen zu wahren. Ich konnte erst gehen, als jemand half ihn zurückzuhalten. Solche Dinge erlebe ich permanent.

TDF: Warum denken Sie, hat das Jugendamt Ihnen davon abgeraten, den rechtlich vorgesehenen Unterhalt vom Kindesvater einzufordern?

Sarah: Das hätte Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Vater, Mutter und Kind und ich solle mich lieber immer deeskalierend verhalten.

TDF: Was sind abgesehen von angemessenen Unterhaltszahlungen weitere Wünsche, die Sie an Ihren Ex-Partner haben?

Sarah: Ich wünsche mir eine einheitliche Regelung für die Sorge und Erziehung meines Sohnes. Grundsätzlich liebt mein Sohn seinen Papa und er will mit ihm Zeit verbringen. Das finde ich auch unfassbar wichtig. Das muss man ganz klar sagen. Genauso liebt er seine Großeltern und seine Halbschwester. Aber ich will nicht, dass wir zu seinem Spielball werden.

Wir hatten bereits ein familiengerichtliches Verfahren am Laufen, weil er mir für die gesamten Sommerschulferien die Betreuung unseres Sohnes abgesagt hatte. Daraufhin bin ich zu einer Anwältin gegangen und habe viel Geld in das Verfahren investiert. Das Ergebnis: keine Regelung für mich. Das hatte dann zur Folge, dass ich unseren Sohn dann die kompletten Sommerferien hatte, und deswegen unbezahlten Urlaub nehmen musste, um ihn daheim allein zu betreuen, weil er noch zu klein war, um ihn allein lassen zu können. Beim Jugendamt wurde mir wieder gesagt, dass Deeskalation die Lösung sei, und sie davon abraten, eine Regelung durchzufechten. Das wurde damit begründet, dass das für meinen Sohn das Gefühl auslösen würde, dass der Papa gezwungen werde ihn zu nehmen. Als Lösung des Problems wurde mir nahe gelegt eine Tagesmutter zu engagieren, um mir mehr Auszeiten zu gönnen. Ich hatte ganz transparent kommuniziert, dass ich nach all den Jahren, in denen ich meinen Sohn alleine erziehe, nicht mehr kann, dass ich kurz vor einem Burnout stehe.

Die Situation mit meinem Kind hat sich vor allem auch in der Corona-Zeit so unfassbar zugespitzt. Ich habe mich allein gelassen gefühlt. Das Jugendamt sagte mir, ich solle mir eine Tagesmutter suchen. Eine Tagesmutter, die wie alles erzieherische Personal nur schwer zu finden ist und die ich selbst bezahlen muss. Hinzu kommt, dass mein Sohn auch nicht von allen Leuten betreut werden kann und er auch nicht zu allen Leuten geht. Und das soll eine Lösung sein für so eine Situation? Ich habe dem Jugendamt dann erklärt, wie ich mit meinem Kind pädagogisch arbeite, da mein Kind besondere Betreuungsmaßnahmen braucht. Zum Beispiel arbeiten wir daheim mit Metaplänen – mein Sohn hat Uhren für verschiedene Aufgaben und Beschäftigungen und wir sortieren Gegenstände farblich, damit er sich gut zurechtfindet. Inzwischen ist er medikamentös eingestellt, er hat einen ganz strikten Tagesablauf, es ist geregelt, was er essen darf und was nicht und wir sind ganz viel draußen in der Natur.

Wegen der vielen Bedürfnisse unseres Sohnes kann er nicht nur von einer Person alleine betreut werden und es geht auch nicht, dass er von seinem Papa hin und hergeschoben wird, wie es derzeit der Fall ist. Darum möchte ich eine verbindliche Regelung wie beispielsweise, dass ich alleine Entscheidungen für das gemeinsame Kind treffen kann und wenn der Papa Zeit hat, ist das super und dann geht er dahin, aber verbindlich. Das Jugendamt meinte darauf nur, dass sie mir nicht helfen könnten, ich weiterhin deeskalierend und freundlich sein muss. Und ich denke mir: Okay, wie unterwürfig soll ich mich eigentlich diesem Mensch gegenüber verhalten? Nur damit wir irgendwie durch das Leben kommen, bis unser Kind 18 ist. Ich verstehe die Welt nicht mehr - verstehe nicht, was von mir erwartet wird als Frau? Weil ich die Mutter bin, weil ich dieses Kind geboren habe, bin ich allein dafür zuständig? An dieser Stelle müsste das Jugendamt sich doch dementsprechend an den Vater richten und reagieren, vor allem wenn ich mich schon dorthin wende.

TDF: Was wünschen Sie sich von institutioneller Seite?

Sarah: Ich würde mir vom Jugendamt wünschen, dass sie mit meinem Ex-Partner reden und eine Lösung finden. Zum Beispiel, dass er unser Kind als Alternative nur von Samstag bis Sonntag nimmt, dafür aber verbindlich. Das würde mir schon reichen. Stattdessen wird mir gesagt, dass das Gesetz schon eine 50:50 Betreuung vorsieht, ABER niemand gezwungen werden könne. Ich wurde aber zu ziemlich viel gezwungen in den letzten acht Jahren. Ich muss immer funktionieren.

TDF: Sie erleben also die fehlende Wahrnehmung der Pflichten durch den Vater Ihres Sohnes als einen Zwang als Mutter ausgleichend Leistung zu erbringen?

Sarah: Genau! Ich kann gezwungen werden, permanent diese Spielchen mitzumachen und zuzugucken, wie das Gleiche meinem Sohn passiert. Trotz allem bin ich angehalten und gezwungen immer freundlich und kooperativ zu sein. Während dessen wird mir von Institutionen gesagt, ich solle auf jeden Fall vermeiden vor meinem Kind laut zu werden, oder schlecht über den Kindesvater sprechen, damit er kein schlechtes Vaterbild kriegt! Dass er einfach keinen super Vater hat, wird dabei außer Acht gelassen. Ich habe lange Zeit seinen Vater vor ihm verteidigt und Ausreden gesucht, warum sein Papa ihn wieder nicht abholt. Oder ich musste ihm erklären warum er nicht mit seinem Vater, seiner neuen Frau, Kind und Kumpels mit in den Urlaub darf, obwohl er doch auch Ferien hat. Inzwischen glaubt mir mein Sohn jedoch nicht mehr und sagt Sachen wie „Mama, lüg mich doch nicht an!“. Er ist ja nicht doof.

TDF: Verlieren Sie da nicht irgendwo Ihre Integrität als Mutter, weil sie dazu angehalten sind, die Dinge nicht so für ihn zu kontextualisieren, wie es eigentlich für ihn wichtig wäre?

Sarah: Ja, ganz genau. Hinzu kommen berufliche Probleme durch diese Umstände. Durch die Unverbindlichkeit des Vaters, ist es schwierig, meiner Tätigkeit nachzugehen, da er oft spontan absagt. Dann muss ich meinen Sohn entweder spontan mit zur Arbeit nehmen, was er natürlich auch nicht super findet oder ich komme zu spät, weil die Distanzen zwischen Arbeitsplatz und Familienangehörigen, die sich dann um meinen Sohn kümmern, weit sind. Das ist allerdings auch nur begrenzt möglich, da meine Eltern nicht mehr so fit sind und meine Geschwister eben auch Vollzeit arbeiten. Er geht gerne zu seinen Großeltern väterlicherseits, zu denen ich ihn aber leider nicht bringen darf, weil sein Vater meint, dass sie ausschließlich seine Betreuer seien. Ich weiß nie, ob ich einen Job annehmen kann, da die Betreuung für meinen Sohn nicht garantiert ist.

Um noch ein anderes Beispiel zu nennen: Unser Sohn ist übergewichtig und nimmt deswegen an einem Programm teil, was gut läuft, bis er wieder beim Papa war. Institutionen sagen mir, ich müsse mit meinem Ex sprechen, wenn unser Sohn dort innerhalb von drei Wochen vier Kilo zunimmt, obwohl er zuvor fünf abgenommen hatte. Ich weiß aber, dass dieses Gespräch wieder eskaliert.

TDF: Also sein Vater hält sich dann auch nicht an solche Absprachen wie jetzt beispielsweise im Zuge des Programms. Achtet er dann nicht auf die Ernährung?

Sarah: Ne, er sagt, er könne nichts machen, wenn unser Sohn das einfach isst. Er könne nicht den ganzen Tag um unseren Sohn herum sein. Unser Sohn holt sich beispielsweise einen Döner, weil sein Vater ihm kein Essen gegeben hat.

Da wird Essen als Erziehungsmittel bei einem Kind benutzt, das sowieso schon eine Thematik mit Essen hat. Da bin ich völlig fassungslos und habe keinen Handlungsspielraum. Oder auch bei Gesprächen mit LehrerInnen. Entweder darf ich mir die Vorwürfe von LehrerInnen alleine anhören, wo es alles nicht läuft, oder er beleidigt die LehrerInnen, wenn er denn zum Gespräch kommt. Und das, nachdem ich mühevoll versucht habe, mit den LehrerInnen ein gutes Setting aufzubauen für unser spezielles Kind, damit es in einer normalen Regelschule bleiben kann.

TDF: Ihr Ex-Partner beleidigt die Lehrer?

Sarah: Ja, tut er. Was lebt er diesem Kind vor? Für mich erschwert er damit die Zusammenarbeit mit der Schule, bei der ich versuche, dass dem Kind nochmal eine Chance gegeben wird. Viele Absprachen sind dem Vater völlig egal. David hat zum Beispiel gegen meinen Willen ein Handy bekommen, auf dem sein Vater eine App einrichten sollte, da unser Sohn ein Suchtproblem hat. Das war vor zwei Jahre und bisher ist nichts eingerichtet. Ich selbst habe keinen Zugang und habe daher keine andere Wahl, als das Handy zu entwenden und zu verstecken. Selbst die Schule hat den Vater darum gebeten, eine Bildschirmsperre für die Schulzeit einzurichten. Solche Dinge begleiten mich und das Kind jeden Tag. Sowohl meine jetzige Partnerschaft ist massiv davon betroffen als auch ich. Ich arbeite zum Teil zwischen 15 und 17 Stunden pro Tag, die meisten davon am Abend und in der Nacht, um irgendwie über die Runden zu kommen. Für Urlaub oder Musikunterricht reicht es trotzdem nicht. Ich weiß nicht, was mit meinem Kind passiert, wenn ich mal wirklich gar nicht mehr kann.

TDF: Wie geht denn Ihr Umfeld mit der Situation um?

Sarah:  Meine Freundinnen und meine Familie sind fassungslos. Mir wird von den meisten gesagt, ich solle mich endlich mal wehren. Aber wie? Wo soll ich denn noch hingehen? Für die meisten Vorfälle gibt es eben auch keine ZeugInnen. Mein Ex-Partner und seine Familie sind in dem Ort sehr angesehen. Er ist seit Jahren im Gemeinderat, hat einen guten Hintergrund, ist sehr vermögend, selbstständig und anderen Menschen gegenüber ein totaler Sonnenschein.

Zeitweise glaubte mir einfach niemand. Dadurch habe ich auch manchmal Zweifel und frage mich, was ich falsch mache. Ich verstehe sein Problem nicht. Gerade weil wir so lange zusammen waren und ich ihm das Ende so einfach wie möglich gemacht habe. Ich habe das Haus fast abbezahlt und bin ohne Widerstand gegangen, habe den Kontakt zum Kind nie vorenthalten und bastle mit oder kaufe für meinen Sohn zu jedem Geburtstag der Großeltern, des Vaters oder der Halbschwester oder anderen Anlässen wie Ostern ein Geschenk. Also warum macht man das mit mir? Warum kann ein Mensch so unfassbar viel Macht über mein Leben haben? Ich kann und möchte nie mehr mit einem Menschen ein Kind kriegen. Ich möchte keinem Mann mehr dieses Vertrauen geben.

TDF: Also denken Sie auch, dass das Jugendamt und die Behörden durch seine Art unterschätzen, was er für ein Mensch ist? Oder sehen die das schon?

Sarah: Ich glaub, denen ist es schon bewusst. Also die eine Familienberaterin hat mal zu mir über den Vater gesagt, dass er ja schon eine narzisstische Persönlichkeit hat.

TDF: Der Rat seitens der Behörden, dass Sie sich klein machen und Provokationen vermeiden sollen, klingt so, als hätte man dort durchaus die Sorge, dass die Situation eskalieren könnte.

Sarah: Ja, aber die Begründung der Sorge ist tatsächlich nur, dass das Kind Kontakt zu seinem Vater haben soll. Das Vaterrecht steht da groß im Vordergrund. Aber ich habe als Mutter in diesem Fall definitiv keinerlei Rechte mehr. Dass Väter gestärkt werden sollen finde ich einerseits gut und unfassbar wichtig. Auf der anderen Seite bin ich fassungslos, wenn höre, dass Väter immer noch mehr gestärkt werden sollen, denn wer stärkt denn mich? Ich kann nicht mehr. Mir wird dann geraten ich solle mich mal abends schön in die Badewanne legen. Die Zeit fehlt mir, da ich abends nach einem langen Tag voller Arbeit, Hausaufgabenbetreuung, Therapeutenbesuchen, etc. vor meinem Laptop sitze und weiterarbeite. Da fühle ich mich absolut nicht verstanden, wenn mir gesagt wird ich solle baden gehen oder mal die Füße hochlegen und ein gutes Buch lesen.

TDF: Sie empfinden es also so, dass Ihre Rechte eingeschränkt werden, während man Väterrechte priorisiert?

Sarah: Genau. Er hat jedes Recht zu sagen, wann er was eventuell vielleicht macht und wann nicht. Mal überweist er den Unterhalt, mal auch ein bisschen weniger. Manchmal weiß ich nicht wie ich meinen Sohn erziehen soll, damit er nicht wird wie sein Vater wird und nicht so mit Frauen umgeht. Besonders in Momenten, in denen er bereits Angewohnheiten zeigt, wie mich anzuschreien. Er lebt so viel bei mir und sieht, wie sehr ich kämpfe und trotzdem kommt so was. Ich verzweifle, wenn ich darüber nachdenke, wie wenig Unterstützung alleinerziehende Frauen erhalten und wie wenig generell nach den Rechten von Frauen geschaut wird. Ich würde mir einen Zuschuss für alleinerziehende Mütter wünschen, damit sie leben können. Ich kann keine Leitungsfunktion innehaben mit 60 Prozent Arbeitszeit. Und wenn ich dann einen Euro mehr verdiene, kriege ich wieder das Wohngeld nicht. Und dann bin ich wieder bei einer Behörde und ich muss wieder alles offenlegen. Ich muss einen Babysitter engagieren, um zum Elternabend zu gehen, zudem der Vater nicht mitgehen möchte. Wo ist da die Gerechtigkeit?

TDF: Sie sagen, er hatte andere Frauen, war überfordert, wollte sich seinen Pflichten entziehen, Sie aber in seinem Einflussbereich behalten, damit er dennoch die Kontrolle behält. Würden Sie das, was Ihnen durch Ihren Ex-Partner geschieht, als Gewalt bezeichnen? 

Sarah: Die völlige Unvorhersehbarkeit bezüglich Abmachungen, die vielen Sorgen und Gedanken, die ich mir wegen ihm machen muss und meine mentale Abhängigkeit sind  für mich tatsächlich eine riesengroße Form von Gewalt.

Es gibt auch Leute, die mir sagen, ich solle David einfach bei dem Vater vor die Haustür stellen. Aber was tue ich damit meinem Kind damit an? Natürlich wäre das eine Konsequenz, aber auf Davids Kosten.

Besonders jetzt, nachdem Behörden wieder bestätigt haben, dass ich diejenige bin, die sich zurückhalten muss. Es lässt mich verzweifeln. Was soll ich denn tun?

Wenn ich einen Kredit aufnehmen und versuchen würde, das mit einem Anwalt zu klären, besteht die Gefahr, dass er vor Gericht Recht bekommt, und das würde alles nur schlimmer machen. Damit hätte ich nicht nur noch mehr Schulden, sondern es würde ihn darin bestärken, dass er immer gegen mich gewinnt und ich immer die Schwächere bin und er würde wieder damit drohen, was er alles unserem Kind sagen wird.

TDF: Haben Sie eine Anlaufstelle gefunden, bei der Sie gute Unterstützung oder Beratung erhalten haben?

Sarah: Nein ich habe keine gefunden. Ich hatte schon Beratung bei Caritas, Pro Familia, Jugendamt, Jugendberatungsstelle. Ich habe echt alles durch. Und selbst Therapeuten sagen ganz klar: wenn der Ex-Partner nicht will, dann geht nichts.

TDF: Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, das alleinige Sorgerecht zu beantragen?

Sarah: Ich habe schon darüber nachgedacht und es meinem Ex-Partner auch vorgeschlagen, als er einmal wieder nicht mit zum Elternabend wollte. Ich meinte, ich könne damit die Dinge allein entscheiden, wenn er das sowieso nicht möchte und er kann sich mit seinem Sohn treffen, wenn die beiden wirklich Zeit haben. Daraufhin meinte er, ich wolle ihm sein Kind wegnehmen, ich sei gestört und er würde mir das Kind sicherlich nicht überlassen. Ich will einfach nur, dass David sich damit nicht beschäftigen muss und unbeschwert leben kann. Man spürt, dass er da wirklich schon bleibende Schäden davongetragen hat und das tut mir unglaublich leid.

TDF:  Wurde Ihr Expartner schon mal vom Jugendamt einbestellt, um sicherzustellen, dass er seiner Sorgearbeit nachkommt?

Sarah: Nein. Also er war einmal mit in einer Jugendberatungsstelle. Das war zeitnah nach der Trennung, also wirklich schon Jahre her. Da hat der Berater dann auch nach dem dritten Gespräch gesagt, dass es überhaupt keinen Sinn machen würde, mit ihm zu sprechen.

TDF: Welche Maßnahmen sollten Ihrer Meinung nach in solchen Fällen ergriffen werden?

Sarah: Wichtig wäre es, dass das Einbestellen von Eltern durch das Jugendamt und darauffolgendes Nichterscheinen zur Folge hat, dass Jugendämter Gerichtsprozesse ermöglichen und unterstützen und nicht davon abraten und Aussagen tätigen wie „Können Sie sich das überhaupt leisten?“. Kann ich eben nicht.

Ich denke, dass sich da unbedingt etwas politisch und rechtlich ändern muss. Damit jedem klar wird: das ist zu 50 Prozent mein Kind und das bedeutet, ich habe auch zu 50 Prozent die Verantwortung, die ich nicht abgebe, wenn die Frau gegangen ist. Frauen brauchen schützende Rahmenbedingungen. Vor allem, weil das Kind ja auch so lernt, was es bedeutet, ein guter Vater zu sein. 

TDF: Vielen Dank, dass Sie mit uns gesprochen haben, Frau Meier!

Nachtrag:

Frau Meier berichtete uns nach dem Interview, dass ihr Ex-Partner die vom Jugendamt berechneten Unterhaltszahlungen ablehnt und sich weigert, diese zu zahlen. Das Jugendamt bezeichnet die Situation als schwierig, da ihr Ex-Partner selbstständig ist, und rät ihr weiterhin davon ab, vor Gericht zu gehen, obwohl dies ihre einzige Möglichkeit wäre, den ihr zustehenden Unterhalt zu bekommen


[1] Alle Namen wurden zum Schutz der Befragten geändert

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