Wendepunkte: Schwangerschaftsabbruch in Deutschland und den USA

Am 24. Juni 2022 fanden sowohl in Deutschland als auch in den USA historische Entscheidungen zum Abtreibungsrecht statt, in ihren Auswirkungen könnten die Gesetze jedoch unterschiedlicher nicht sein. In Deutschland hat der Bundestag mit großer Mehrheit beschlossen das sogenannten Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche im Strafgesetzbuch (§ 219a StGB) zu streichen. Damit werden zum einen die Rechte von Frauen die ungewollt schwanger sind und zum anderen die Rechte von Ärztinnen und Ärzten, die diesen Eingriff durchführen gestärkt. Ärztinnen wie Kristina Hänel, Nora Szász oder Bettina Gaber haben sich für diese Streichung engagiert und gemeinsam mit vielen UnterstützerInnen nach jahrelangem Einsatz diesen Erfolg erzielen können.

 Anders in den USA, hier hat eine konservative Mehrheit im obersten Gerichtshof das seit 1973 landesweit geltende Recht auf Schwangerschaftsabbrüche gekippt. Die Folgen dieses Urteils für Frauen sind desaströs.

Ampel-Koalition streicht § 219a StGB

Bereits mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags im Dezember 2021 setzten SPD, Grüne und FDP die Abschaffung des bisherigen Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche – den § 219a StGB – in Bewegung. Die Streichung des Paragrafen 219a aus dem Strafgesetzbuch (StGB) wurde am Mittwoch, 18. Mai 2022 in einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss schon von der Mehrheit der Sachverständigen unterstützt. [1] Mit den Stimmen von SPD, Bündnis90/Die Grünen, FDP und der Linksfraktion wurde die Streichung des § 219a StGB am Freitag, 24. Juni 2022 vom Bundestag genehmigt. Die Fraktionen der CDU/CSU und AfD stimmten dagegen. [2]

Zusätzlich zur Streichung des § 219a möchte die Regierung auch Regelungen des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) anpassen, damit sowohl medizinisch indizierte als auch nicht indizierte Abbrüche erfasst werden. Laut Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) soll zudem auch eine Kommission für reproduktive Selbstbestimmung eingesetzt werden, um „Regelungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des StGB treffen“ zu können. [3]

Was bedeutet der Gesetzesentwurf der Ampel-Koalition für Schwangere?

Paragraf 219a untersagte nicht nur die kommerzielle Werbung für Schwangerschaftsabbrüche, sondern hat auch die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen eingeschränkt, da ihnen mit dem Zugang zu Informationen auch der Zugang zu medizinischen Leistungen erschwert wurde. Der nun nicht mehr existierende § 219a hat ÄrztInnen verboten über die von ihnen angewandten Methoden zu informieren und machte es in der Folge den Betroffenen schwer, geeignete ÄrztInnen überhaupt ausfindig zu machen. Im Zusammenhang mit der prekären Rechtslage nahm die Anzahl von MedizinerInnen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, in den letzten Jahren drastisch ab.

Mit der Streichung von § 219a StGB wird nun etwas Druck von den Betroffenen und den ÄrztInnen genommen, da Betroffene jetzt über die Rechtslage, den möglichen Methoden und deren möglichen Nebenwirkungen niedrigschwellig informiert werden können, ohne, dass ÄrztInnen sich damit strafbar machen. Nichtsdestotrotz kritisiert TERRE DES FEMMES gemeinsam mit anderen Organsiationen, dass die Streichung dieses einen Paragrafen nicht ausreicht. [4] Denn der bestehende § 218 StGB stellt Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland grundsätzlich für alle Beteiligten noch immer unter Strafe. Ein Schwangerschaftsabbruch ist nur dann straffrei möglich, wenn einer der folgenden drei Ausnahmen vorliegt: (1) wenn die betroffene Person sich drei Tage vor dem Termin des Schwangerschaftsabbruchs in einer staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle beraten lässt und seit Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind, oder (2) wenn eine medizinische Indikation dafür vorliegt, dass die Schwangerschaft medizinisch gefährlich ist, oder (3) eine kriminologische Indikation gegeben ist, die Schwangerschaft auf einem Sexualdelikt (wie z.B. einer Vergewaltigung) beruht. [5]

Die Abschaffung des § 219a StGB war wichtig und längst überfällig. Um wirkliche sexuelle Selbstbestimmung zu erreichen, bedarf es zwingendermaßen auch der Abschaffung von § 218 StGB.

Was wurde in den USA beschlossen?

Im Gegensatz zu Deutschland hatten, bis vor kurzem, Schwangere in allen Bundestaaten der USA das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch. Nach dem sogenannten „Roe v. Wade“-Urteil von 1973 wurden Abtreibungen bis zur 24. Schwangerschaftswoche landesweit ermöglicht.

Die Debatte um den legalen Schwangerschaftsabbruch ist in den USA Anfang Februar 2022 wieder entbrannt, nachdem sich RichterInnen des Obersten Gerichtshof erstmals dafür ausgesprochen hatten, das landesweite Abtreibungsrecht zu kippen. [6] Am Freitag, 24. Juni wurde trotz abweichender Mehrheitsmeinung der US-Bevölkerung endgültig entschieden das fast 50 Jahre geltende Gesetz als nichtig zu erklären. Ermöglicht wurde diese Entscheidung durch die deutlich konservative Mehrheit, die Donald Trump während seiner Präsidentschaft im obersten Gerichtshof der USA etabliert hat. [7]

Mit der Aufhebung des „Roe v. Wade“-Urteils ist es nun jedem Bundestaat selbst überlassen, die Abtreibungsrechte beliebig einzuschränken. [8] In einigen Staaten haben sogenannte „Trigger-laws“ dazu geführt, dass Abtreibungen sofort verboten wurden. In etwa 60% der Bundesstaaten sind Abtreibungen inzwischen verboten, stehen kurz vor dem Verbot oder sind ernsthaft bedroht. [9] Mit Stand vom 27. Juni haben die folgenden 7 Staaten Schwangerschaftsabbrüche bereits vollständig verboten: Alabama, Arkansas, Oklahoma, Missouri, Kentucky, Wisconsin und South Dakota. [10] In 21 weiteren Staaten, werden noch Verbote oder strengere Einschränkungen erwartet. Es könnte jedoch noch einige Monate dauern, bis in allen Bundestaaten die rechtlichen Schritte rund um das Abtreibungsrecht erfolgt sind.

Für viele Schwangere bedeutet dies schon jetzt, dass sie mehrere Bundesstaaten durchqueren müssen, um Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch zu erhalten. Diese Entscheidung wird weitreichende und schwerwiegende Folgen für Frauen haben. Länder wie El Salvador, in welchen absolute Abtreibungsverbote herrschen, können als Gradmesser für mögliche Auswirkungen herangezogen werden.

Wie positioniert sich die WHO in diesem Spannungsfeld?

Die im März 2022 veröffentlichte Abtreibungsrichtlinie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bekräftigt, dass freier Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch eine wesentliche Voraussetzung sowohl für Gesundheit als auch für die Umsetzung von Menschenrechten ist. Die WHO fordert ausdrücklich die Beseitigung aller rechtlichen Hindernisse beim Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen und setzt sich dafür ein, dass weltweit eine menschenrechtsbasierte Abtreibungsbetreuung verfügbar ist. [11] Der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ist nicht nur wichtig, um die Autonomie der Frauen zu schützen, sondern auch um Todesfälle und Verletzungen bei Betroffenen zu verhindern. Daher sollte allen Frauen weltweit das Recht und die Möglichkeit auf einen sicheren, qualitativ hochwertigen und legalen Schwangerschaftsabbruch gewährt werden.

Auch die EU hat sich im vergangenen Jahr, genau am 24.06.2021, für einen sicheren und legalen Schwangerschaftsabbruch ausgesprochen und fordert damit alle Länder innerhalb der EU auf dies sicherzustellen. [12] Die Ampel-Koalition ist in der Pflicht, dieser Forderung umgehend nachzukommen.IMG 4124

Berlin, 30. Juni 2022



[1] Vgl. Deutscher Bundestag - Sachverständige mehr­heitlich für Aufhebung von Paragraf 219a: in: Deutscher Bundestag, 18.05.2022, https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw20-pa-recht-schwangerschaftsabbruch-892470 (abgerufen am 24.05.2022).

[2] Vgl. Deutscher Bundestag – Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche gestrichen: in: Deutscher Bundestag, 24.06.2022, https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw19-de-schwangerschaftsabbruch-219a-891910 (abgerufen am 29.06.2022).

[3] Vgl. Lisa Paus: Der Schwangerschaftsabbruch gehört nicht ins Strafrecht: in: BMFSFJ, 13.05.2022, https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/mediathek/lisa-paus-der-schwangerschaftsabbruch-gehoert-nicht-ins-strafrecht-197472 (abgerufen am 25.05.2022).

[4] Vgl. Reifenrath, T.: Streichung von Paragraf 219a : Gut, aber nicht ausreichend, in: tagesschau.de, 29.11.2021, https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/paragraph-219a-streichung-101.html (abgerufen am 25.05.2022).

[5] Vgl. BMFSFJ.: Schwangerschaftsabbruch nach § 218 Strafgesetzbuch: in: BMFSFJ, 16.07.2021, https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/schwangerschaft-und-kinderwunsch/schwangerschaftsabbruch/schwangerschaftsabbruch-nach-218-strafgesetzbuch-81020 (abgerufen am 25.05.2022).

[6] Vgl. Sarre, C.: Supreme Court in den USA: Ende des Rechts auf Abtreibungen?, in: tagesschau.de, 14.05.2022, https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/usa-supreme-court-abtreibung-101.html (abgerufen am 25.05.2022).

[7] Vgl. Horton, J.: Who could be most affected by US abortion changes?, in: BBC News, 03.05.2022, https://www.bbc.com/news/59583311 (abgerufen am 25.05.2022).

[8] Vgl. Sarre, 2022.

[9] Vgl. Witherspoon, Andrew/Alvin Chang: Tracking where abortion laws stand in every state, in: the Guardian, 28.06.2022, https://www.theguardian.com/us-news/ng-interactive/2022/jun/28/tracking-where-abortion-laws-stand-in-every-state (abgerufen am 30.06.2022).

[10] Vgl. Witherspoon/Chang, 2022.

[11] Vgl. Center for Reproductive Rights. Center Commends WHO’s New Abortion Guideline for Quality Abortion Care Worldwide: in: Center for Reproductive Rights, 18.05.2022, https://reproductiverights.org/who-abortion-care-guideline/ (abgerufen am 25.05.2022).

[12] Vgl. Europüäisches Parlament: Allgemeinen Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit sicherstellen | Aktuelles | Europäisches Parlament, in: Europar, 24.06.2021, https://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20210621IPR06637/allgemeinen-zugang-zu-sexueller-und-reproduktiver-gesundheit-sicherstellen (abgerufen am 30.06.2022).