In einer Zeit, die von Spaltung, Vereinzelung und wachsenden Gräben geprägt ist, wird Verbundenheit zu einer politischen Kraft. "Emanzipatorischer, feministischer Wandel hat sich immer in Netzwerken von Frauen entsponnen. Es ist die Verbindung, nicht die Trennung, die Transformationen bewirkt." (Franziska Schutzbach, Geschlechterforscherin und Soziologin)
Diese Haltung prägt TERRE DES FEMMES – von Anfang an. Sie ist der Faden, der sich durch Jahrzehnte des Engagements zieht, durch Kämpfe, Erfolge und unzählige Geschichten von Mut und Solidarität. Wir setzen uns dafür ein, dass Frauen die Fäden in ihrem Leben selbst in der Hand halten und machen bei der diesjährigen Fahnenaktion den Faden zum Symbol für Selbstbestimmung und Zusammenhalt.
Bei der Fahnenaktion 2025 spannen wir einen realen Faden – für den Weg aus der Gewalt, den Frauen nur gehen können, wenn Institutionen sich effektiv vernetzen. Bei der Justiz, Polizei und in Beratungsstellen müssen die Fäden zusammenlaufen, um ein Netzwerk zu bilden, das Frauen stärkt und schützt.
Wir sagen: Nehmt den Faden in die Hand. Und tragt das Band der Verbundenheit buchstäblich am Arm: Als sichtbares Zeichen erinnert es daran, wofür die Fahnenaktion seit 25 Jahren steht: "frei leben ohne Gewalt".
Wir sagen auch: Der Faden darf nicht abreißen. Bei TERRE DES FEMMES steht ein Generationenwechsel an. Unsere langjährige Bundesgeschäftsführerin Christa Stolle verabschiedet sich in den feministischen Ruhestand. Wir bleiben ihr verbunden und sagen Danke für die Meilensteine für Frauenrechte, die sie mit ihrer Arbeit bei TERRE DES FEMMES erreicht hat.
In einem Interview mit Praktikantin Ellen Krone wirft sie noch einmal den Blick zurück auf eine echte Erfolgsgeschichte und macht uns so Mut für die Zukunft.
"Bleibt widerständig!" – TDF-Bundesgeschäftsführerin Christa Stolle im Abschiedsinterview
Ellen: „Liebe Christa, seit 35 Jahren und bereits vor deiner Zeit als Bundesgeschäftsführerin, prägst du Deutschlands größte Frauenrechtsorganisation. Jetzt steht dein Abschied bevor.
Wenn du jetzt auf all die Jahre deiner Arbeit zurückblickst, was war dein prägendster Moment bei TERRE DES FEMMES, der dir bis heute noch in Erinnerung geblieben ist?“
Christa: „Es gab viele prägende Momente, aber ich möchte einen besonders herausgreifen – und zwar die Entwicklung der Fahnenaktion, die innerhalb des Vereins wirklich nicht einfach war. Wir haben das damals auf die Mitfrauenversammlung (MV) gebracht, es war ein sehr umfangreicher Abstimmungsprozess, sowohl bei der MV, als auch im Vorfeld. Wir haben verschiedene Entwürfe für die Fahne gehabt, mehrere Durchläufe gemacht, bis wir dann endlich einen Entwurf hatten, der bei den meisten Anklang gefunden hat. Ich musste mich mit vielen Vorbehalten, bis hin zu Vorurteilen wie die Fahne sei ein militaristisches Symbol, auseinandersetzen. Mir war dieser Kampagnenvorschlag aber sehr wichtig, weil ich die Bedeutsamkeit und Zukunftsfähigkeit dieses Symbols, zu dieser Zeit, und der Kampagne für TERRE DES FEMMES gesehen habe. Wir wollten den 25. November, den Internationalen Tag zu NEIN zu Gewalt an Frauen, in Deutschland bekannter machen. Vor allem sollten die Gleichstellungsbeauftragten, die damals noch Frauenbeauftragte hießen, einbezogen werden. Wir haben alle Frauenbeauftragten in Deutschland angeschrieben und ihnen ein „Fahnenpaket“ angeboten, was richtig gut ankam. Es wurden schließlich über 400 Pakete verschickt. Die Frauenbeauftragten waren mit Begeisterung dabei und haben vor ihren Rathäusern, Verwaltungen, Schulen, Kinos unsere Fahne „frei leben ohne Gewalt“ gehisst und Veranstaltungen über Gewalt an Frauen gemacht. Die Zeitungen waren voll mit Berichten über diese kreative Aktion.“
Ellen: „Die Fahnenaktion war also nicht nur sehr bedeutend, sondern auch herausfordernd. Was macht diese Aktion bis heute so stark?“
Christa: „Die Entwicklung war sehr herausfordernd und es hat zwei bis drei Jahre gebraucht, aber die Aktion hatte sofort eine wahnsinnige Resonanz. Es war auf der einen Seite dieser basisdemokratische Prozess, der irgendwann auch anstrengend war, der aber auf der anderen Seite auch dazu beigetragen hat, dass dieses neue Format, dieser Tag, diese Aktion, schließlich gut mitgetragen wurde im Verein.“
Ellen: „Du hast sicherlich schon einige dieser Situationen erlebt, seitdem du 1990 das Büro in Tübingen eröffnet hast und die erste hauptamtliche Angestellte von TERRE DES FEMMES geworden bist. Doch was genau hat dich damals eigentlich motiviert, dich für Frauenrechte einzusetzen?“
Christa: „Ich habe Ethnologie und empirische Kulturwissenschaften in Tübingen studiert. In der Fachschaft gab es damals eine sehr aktive Frauengruppe. die sich mit den Themen weibliche Genitalverstümmelung, Gewalt im Namen der Ehre und generell mit schädlichen Traditionen auseinandersetzte. Ich hatte zuvor eine Vorlesung, in der ein Professor in etwa sagte: ‚Die weibliche Beschneidung ist Kultur, die dürfen wir nicht antasten, das müssen wir so hinnehmen‘. Es gab ein paar empörte Frauen, die ich mobilisieren konnte. Wir wollten diese Menschenrechtsverletzung an Frauen nicht hinnehmen. Kulturen verändern sich. Wir sind auch Akteure des Wandels. Es gab damals schon AktivistInnen in Afrika, die gegen weibliche Genitalverstümmelung und Frühverheiratung aufgestanden sind, eigene Organisationen gegründet und Bücher geschrieben haben. Wir sahen uns verpflichtet, diese Aktivistinnen zu unterstützen, damit sie Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärungsarbeit leisten können.
Und dann bin ich irgendwann auf die Gruppe TERRE DES FEMMES gestoßen, die es bereits an der Uni in Tübingen gab. TERRE DES FEMMES hat sich mit all diesen Themen auf der aktionistischen und politischen Ebene beschäftigt. Ich wollte schließlich nicht nur Beobachterin von diesen schlimmen Frauenrechtsverletzungen sein, sondern eben auch etwas dagegen tun. Die Tübinger Gemeinschaft von TERRE DES FEMMES organisierte damals erste Veranstaltungen zum Thema Sextourismus und Mädchenhandel. Es wurden VertreterInnen der Menschenrechtsbewegungen aus diesen Ländern eingeladen, die dann über die Gewalt gesprochen haben. Bei dieser Gruppe habe ich meine Heimat gefunden, meine Basis für mein Bedürfnis nach Engagement. Ich war schließlich drei Jahre ehrenamtlich im Vorstand von TERRE DES FEMMES und habe sehr viel gemacht, unter anderem die ganze Öffentlichkeitsarbeit. Ich war Studentin und noch einigermaßen gut erreichbar, schließlich will die Presse sofort eine Antwort haben. Ich habe mich dafür eingesetzt, gemeinsam mit anderen, dass wir ein Büro einrichten und hauptamtliche Strukturen schaffen. Mein Berater beim Arbeitsamt riet uns dazu eine ABM-Stelle zu beantragen. Das waren Fördermaßnahmen für Stellen, die auch Absolventen von Unis in Anspruch nehmen konnten. Der erste ABM-Antrag wurde abgelehnt, der zweite bewilligt. Da ich mit dem Studium fertig war, bot der Verein mir die Stelle an und so konnte ich das Büro gründen. Wir haben zunächst ein halbes Jahr in meiner Wohnung getagt, bis wir irgendwann ein Büro gefunden haben.“
Wie alles begann...
Ellen: „Durch dein Engagement damals wurde der Grundstein für die professionelle Arbeit von TERRE DES FEMMES gelegt. Wenn du heute auf diese Entwicklung zurückblickst, auf welchen Meilenstein von TERRE DES FEMMES bist du besonders stolz?“
Christa: „Das war die Etablierung des Büros, die Professionalisierung und die damit einhergehenden Möglichkeiten, Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising zu betreiben. Darauf bin ich stolz, denn es war natürlich nicht immer einfach. Es gab Ups und Downs, aber ich habe immer das Durchhaltevermögen und den Optimismus gehabt. TERRE DES FEMMES wurde zwar schon 1981 gegründet, aber ich würde sagen, so eine Geschäftsstelle ist sehr wichtig. Sie war die Basis für alle darauffolgenden Aktivitäten, die einfach Kontinuität brauchten. Es ging bergauf mit dem Ausbau weiterer thematischer Schwerpunkte neben den Gründungsthemen Weibliche Genitalverstümmelung und Gewalt im Namen der Ehre. Es fanden viele Spendenaktionen, u.a. für traumatisierte Frauen im ehemaligen Jugoslawien, größere Konferenzen und Protestaktionen statt. Und nicht zuletzt die Meilensteine Fahnenaktion und das Filmfest.“
Ellen: „Neben den ganzen Erfolgen gab es sicherlich auch einige Rückschläge bei TERRE DES FEMMES. Hast du an einem bestimmten Punkt jemals daran gedacht aufzuhören?“
Christa: „Natürlich gab es Rückschläge, vor allem wenn die Finanzen knapp wurden. Da hat der Vorstand die Situation manchmal anders eingeschätzt als ich, die auch die Einblicke aus dem Tagesgeschäft hatte. Einmal dachte der Vorstand, dass wir alle MitarbeiterInnen entlassen müssen. Und das war schon in einer Phase, wo ich vom Verein finanziert wurde. Eine Vorstandsfrau sah sich vor der Entscheidung, mich zu kündigen. Plötzlich fehlte der Zusammenhalt, um auch solche Zeiten durchzustehen. Ich war immer sehr optimistisch, dass Spenden kommen und gestellte Anträge bewilligt werden und ein finanzielles Tief uns nicht in Panik versetzen muss. Doch in diesem Moment war mein Gedanke: ‚Warum tue ich mir das an?‘. In dieser Phase wollte ich alles hinschmeißen, aber das funktionierte nicht. Ich war so verbunden mit dem Verein und hatte die volle Unterstützung von meinem damaligen Mann und Freundinnen, die gesagt haben: ‚Nein Christa, du hast schon so viel investiert, du kannst das nicht einfach alles wieder hinschmeißen‘.
Ellen: „Umso schöner ist es, dass du geblieben bist und mit TERRE DES FEMMES seitdem weitere Fortschritte gemacht hast. Wie beispielsweise in diesem Jahr, in dem das Gewalthilfegesetz in Deutschland offiziell verabschiedet wurde. Was kann das Gewalthilfegesetz für Frauen aus deiner Sicht konkret verändern?“
Christa: „Das Gewalthilfegesetz ist insgesamt ein Durchbruch, da wir nun einen Rechtsanspruch auf Hilfe bei Gewalt an Frauen haben. Dieser Anspruch gilt ab 2032. Das heißt aber auch, die ganze Infrastruktur muss ausgebaut werden. Dieses Problem kann nicht von heute auf morgen gelöst werden. 14.000 Frauenhausplätze fehlen. Dafür müssen Frauenhäuser neu gebaut oder ausgebaut werden. Es gibt sicherlich auch noch andere Wege, zum Beispiel, dass man Hotels anmietet, um den Frauen schneller Schutz zu gewähren. Das hätte man flexibler handhaben können, aber ich verstehe auch, dass die Länder erst die Infrastruktur dafür schaffen müssen. Das ist traurig genug. Insgesamt hätte man den Rechtsanspruch früher einführen können. Die Beratungsstellen sind schon da und ich denke, die lassen sich sehr schnell ausbauen, wenn sie das Geld haben. Frauen erhalten dennoch einen Schutz, weil es andere Gesetze gibt. Bei einer Anzeige müssen Polizei und Staatsanwaltschaft reagieren, wodurch Frauen automatisch Hilfe bekommen, allerdings zum Teil auf eigene Kosten.“
Was uns Mut macht...
Ellen: „Auch wenn wir Fortschritte durch Gesetze wie diese machen, gibt es trotzdem noch einige Hürden. Was bedroht Frauenrechte aus deiner Sicht momentan am meisten?“
Christa: „Das ist der Antifeminismus, diese rechtsextremen und konservativen radikalen Bewegungen. Deren Forderung, dass Frauen wieder in die Küche, an den Herd gehören, heiraten, möglichst viele Kinder bekommen und keinen Sex vor der Ehe haben. Diese Bewegungen werden von rechtsextremen Parteien befeuert, vor allem von der AfD. Das macht mir Sorgen, wir erleben richtige Rückschritte, weltweit, vor allem in Bezug auf Abtreibung. Wir müssen plötzlich um Errungenes kämpfen, nicht mehr um Neues, um Reformen, sondern plötzlich das verteidigen, was wir bereits erreicht haben. Ganz neu sind diese Bewegungen nicht. Es gab schon die fundamentalistischen Christen, die so etwas gepredigt haben, aber jetzt werden sie durch politische Parteien unterstützt. Das bekommt eine andere Dynamik. Vorher waren es einzelne Kirchengemeinden, aber jetzt ist es auch noch die Politik. Und dann der politische Islam, der noch dazu kommt. Diese radikalen Imame, die in Moscheen die Unterwürfigkeit von Mädchen und Frauen predigen und den Frauen überhaupt keine Freiheiten lassen wollen. Das ist eine gefährliche Mischung.“
Ellen: „Was möchtest du uns für die Zukunft mitgeben, um Bedrohungen wie diese durchzustehen?“
Christa: „Bleibt widerständig. Bleibt aktiv dran für eine feministische Zukunft zu kämpfen, um das Patriarchat endlich abzuschaffen.“
Ellen: „Wann glaubst du, werden alle Frauen die Fäden selbst in den Händen halten?“
Christa: „Es gibt Studien, die 130 Jahre voraussagen, aber das verschiebt sich wahrscheinlich immer mehr nach oben. Vielleicht, wenn wir jetzt nicht so eine Partei wie die AfD hätten, die auch noch im Bundestag sitzt und dort ihre frauenfeindlichen Parolen propagieren kann, dann wären wir auf einem ganz guten Weg. Vor allem mit Förderinstrumenten wie Quotierungen, die dafür sorgen, dass Frauen in Führungspositionen gelangen. Doch auch im Haushalt spielt die 50-50 Aufteilung eine wichtige Rolle – mehr partnerschaftliche Teilung von Verantwortung für Kinder und Haushalt fördert die Gleichstellung. Die hat sich in den letzten Jahren in Deutschland gut entwickelt, aber für eine konsequente Durchsetzung bräuchten wir weiterhin die Unterstützung aus der Politik. Aber rechtsextreme Parteien, ultrakonservative Gesinnungen, torpedieren die Gleichstellungspolitik immer wieder und wollen Förderinstrumente und die Position der Gleichstellungsbeauftragten abschaffen. Das führt dazu, dass es wieder das klassische Familienmodell gibt: Frau bleibt zuhause, Mann geht arbeiten und bringt das Geld nach Hause. Meine Überzeugung ist, wenn es gleichberechtigte Partnerschaften gibt, dann geht auch die Gewalt an Frauen zurück.“
Ellen: „Bis dahin scheint es noch ein langer Weg zu sein. Mach uns Mut, wie schaffen wir es bis dahin durchzuhalten?“
Christa: „Weitermachen, an der Thematik dranbleiben und auch im Freundeskreis dafür kämpfen. Ich kämpfe auf der politischen Ebene und diese ist zum Teil sehr abstrakt, aber wir müssen auch schauen, dass wir Gleichberechtigung im Kleinen umsetzen. Im Freundeskreis oder der Familie nachfragen: ‚Sag mal, wieso bleibst du denn jetzt vollständig zu Hause? Gibt es dafür keine andere Lösung?`Wir sollten auch Vorbild sein. Das eine ist die Theorie, das andere ist die Praxis. Wir können alle dazu beitragen, dass sich auch in unserem direkten Umfeld was ändert. Sonst ist es ein zu großer Widerspruch. Auf der einen Seite fordern wir Maßnahmen zur Gleichberechtigung politisch, auf der anderen Seite leben wir es überhaupt nicht. Wie soll sich etwas ändern, wenn es nicht in der Gesellschaft ankommt?!“
Ellen: „Danke Christa, wir hoffen, dass du uns auch in Zukunft noch viele Fragen beantwortest und dein Wissen weitergibst. Wir wünschen dir alles Gute und einen feministischen Ruhestand!“
Hier noch mehr Meilensteine entdecken in der Vereinsgeschichte von TDF