• 29.03.2023

Frühehen verletzen das Recht auf Selbstbestimmung und bedeuten für Betroffene ein hohes Gewaltrisiko

Berlin, 29.03.2023. Im Ausland geschlossene Ehen von unter 16-Jährigen können auch in Zukunft ohne Einzelfallprüfung als nichtig erklärt werden – allerdings bedarf es dann genauerer Nachfolgeregelungen, die bislang im Gesetz fehlen*.

So entschied das Bundesverfassungsgericht zu der Frage, ob Teile des 2017 in Kraft getretenen „Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen“ mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

TERRE DES FEMMES begrüßt die Entscheidung. Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass die generelle Nichtigkeit von Ehen mit mindestens einer Person unter 16 Jahren mit dem Grundgesetz vereinbar ist – sofern damit verbundene Nachfolgeregelungen getroffen werden. Es hat darüber hinaus ausgeführt, dass Deutschland mit dem „Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen“ zur internationalen Ächtung von Frühehen beiträgt und damit auch im Einklang mit den Zielen der Vereinten Nationen agiert. Ebenso ging das BVerfG darauf ein, dass eine Ehe auf einer gleichberechtigten Partnerschaft beruht, die aus freiem Willen eingegangen werden solle. Besonders der letzte Punkt ist jedoch oft nicht der Fall, wenn Mädchen minderjährig (zwangs-)verheiratet werden: Sie werden früh in die Rolle der Ehefrau und potenziellen Mutter gedrängt und oft entscheidet der Ehemann über ihren weiteren Lebensweg. Neben größerer Risiken wie häuslicher/sexueller Gewalt verletzen Frühehen eben auch das Recht auf Selbstbestimmung.

Das BVerfG hat aber auch deutlich gemacht, dass es Anpassungen bedarf. Die Nichtigkeit besagter Ehen kann weiter bestehen, wenn die Regelungen zu Unterhaltsansprüchen angepasst werden. Damit erhalten die Minderjährigen die gleichen familienrechtlichen Ansprüche wie bei einer Aufhebung oder Scheidung der Ehe. Dies war ein häufiger Kritikpunkt, der nun nachjustiert werden kann. TERRE DES FEMMES sieht dies als verstärkten Schutz von Minderjährigen an und begrüßt daher auch diese Forderung

Was den Punkt betrifft, dass Regelungen getroffen werden müssen, wenn die Minderjährige bei Erreichen der Volljährigkeit die Ehe weiterführen möchte: Aus Sicht von TERRE DES FEMMES muss vor allem gewährleistet sein, dass die Mädchen und Frauen verpflichtend beraten werden – am besten mehrmals, ohne Beisein von Familienangehörigen oder des Ehepartners und in der eigenen Sprache. Wir befürchten, dass die Mädchen und Frauen massiv von dem familiären Umfeld unter Druck gesetzt werden könnten, die nichtige Ehe sofort bei Volljährigkeit erneut einzugehen oder trotzdem zu leben. Hier spielen zumeist patriarchale Strukturen eine große Rolle. Also hier muss einfach sichergestellt werden, dass die Mädchen befähigt werden, eine selbstständige Entscheidung zu fällen und diese aktive Bestätigung der Ehe / der Wille zur Ehe auch rechtlich dokumentiert wird.

Was TERRE DES FEMMES fordert

-       Jede Frühehe muss jetzt genau erfasst werden. Diese Erkenntnisse müssen Eingang in bestehende Präventions- und Beratungsangebote finden.

-       Jede verheiratete Minderjährige muss durch das Jugendamt betreut und über einen längeren Zeitraum umfassend über ihre Rechte aufgeklärt werden – letzteres ohne Beisein von Familienangehörigen oder des Ehemanns und in ihrer Muttersprache.

-       Ausländerbehörden müssen die Pflicht haben, eine Ehe mit einer Minderjährigen an das Jugendamt zu melden.

-       Auch junge Volljährige stellen eine vulnerable Gruppe dar, die umfassend beraten werden müssen.

-       MitarbeiterInnen in den beteiligten Behörden (Ausländerbehörden, Jugendämter, Familiengerichte) müssen über das Phänomen Früh- und Zwangsverheiratungen geschult werden, Verfahrenswege vereinheitlicht und vereinfacht sowie die Anzahl der MitarbeiterInnen in den Jugendämtern massiv aufgestockt werden.

Deutschland muss hier als Vorbild voranschreiten und ein deutliches Zeichen gegen Früh- und Zwangsverheiratungen setzen.

 

 

 

Weiterführende Links

Forderungen von TDF zum Thema

Mehr zur Arbeit von TDF zum Thema Zwangsverheiratung und Frühehe

*„Der Gesetzgeber ist grundsätzlich befugt, die inländische Wirksamkeit im Ausland wirksam geschlossener Ehen von einem Mindestalter der Beteiligten abhängig zu machen. Ihm ist es auch nicht von vornherein verwehrt, bei Unterschreiten dieses Alters im Zeitpunkt der Eheschließung ohne Einzelfallprüfung die Nichtigkeit der Ehe anzuordnen. Allerdings bedarf es dann Regelungen über die Folgen der Unwirksamkeit, etwa über Unterhaltsansprüche, und über eine Möglichkeit, die betroffene Auslandsehe nach Erreichen der Volljährigkeit auch nach deutschem Recht als wirksame Ehe führen zu können“, so das Bundesverfassungsgericht.

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