Für alle gilt – "Mein Herz gehört mir"!

Zeit, dass die Frage nach selbstbestimmten Entscheidungen eine Bühne bekommt
Denn: „Mein Herz gehört mir“. Das gilt bei so vielen Fragen, die die eigene Lebensgestaltung betreffen.
Was möchte ich einmal werden? Sängerin.
Wen liebe ich? Meinen Freund, der meinen Berufswunsch unterstützt.
Selbstbestimmte Entscheidungen treffen zu können sollte für alle Mädchen selbstverständlich sein. Die Erfahrungen aus dem Theaterstück „Mein Herz gehört mir“ zeigen jedoch andere Einblicke.
TERRE DES FEMMES ging im Juni 2024 zum vorerst letzten Mal mit vier Theateraufführungen an unterschiedliche Schulen Berlins. Zwischen 60 und 100 SchülerInnen sahen das Stück pro Aufführung. Das Stück thematisiert u.a. Fremdbestimmung durch die Eltern, Zwangsheirat (als Minderjährige), Erpressung mit Nacktfotos durch einen Jungen. Themen, die vielen der ZuschauerInnen nicht unbekannt waren. Dies wurde vor allem in den anschließenden Workshops deutlich, in denen mit max. 17 Jugendlichen über das Stück und die darin angesprochenen Themen weiter gearbeitet wurde.
Aussagen im Workshop
„Frauen sind selbst Schuld, wenn sie vergewaltigt werden. Sie haben sich zu freizügig gekleidet.“ (mehrere SchülerInnen der 7.-9. Klasse an verschiedenen Schulen)
„Ausbildung ist für Mädchen nicht wichtig. Ich ernähre später meine Familie.“ (Schüler, 7. Klasse)
„Wir haben große Angst vor der Hochzeitsnacht.“ (mehrere Schülerinnen der 7. Klasse)
Auf die Frage der Theaterpädagogin, was das Mädchen im Theaterstück tun kann, nachdem die Eltern ihr offenbarten, dass sie mit 14 heiraten solle:
„Man muss sein Schicksal akzeptieren.“ (Schüler, 7. Klasse)
„Die Eltern wissen am besten, was gut für das Kind ist.“ (mehrere SchülerInnen der 7.-9. Klasse an verschiedenen Schulen)
Ein Mädchen der 7. Klasse berichtete, wie die familiäre Kontrolle stark zunahm, als ihr Vater sie einmal zusammen mit einem Mitschüler gesehen hatte.
Diese Eindrücke veranschaulichen: Ein gleichberechtigtes Aufwachsen, das schrittweise Planen der eigenen Zukunft oder das Zusammensein mit Freundinnen und Freunden ist immer noch nicht für alle Mädchen selbstverständlich. Niedrigschwellige Präventionsprojekte wie „Mein Herz gehört mir“ oder auch die TERRE DES FEMMES-Aktionswoche „Weiße Woche“ können für wichtige Gesprächsanlässe sorgen. Denn oft trauen Bedrohte und Betroffene nicht, sich Hilfe zu holen. Entweder weil sie denken, dass sofort die Eltern informiert würden oder oft auch, weil sie nicht wissen, dass es Beratungsstellen und Schutzeinrichtungen gibt.
In die Rolle des anderen schlüpfen
Das Stück „Mein Herz gehört mir“ ist als Forumtheater konzipiert. Bei diesem Genre gibt es meist eine neutrale, eine unterdrückte und eine unterdrückende Figur. Nach kurzen Szenen wird mit dem Publikum besprochen, welche Figur in dieser Szene durch wen unterdrückt wird und was diese Figur unternehmen könnte, um ihre Situation zu verbessern. Anschließend können Lösungsvorschläge der Schülerinnen und Schüler direkt umgesetzt werden, indem die Jugendlichen ihre Ideen direkt auf der Bühne ausprobieren und so sinnbildlich in die Rolle schlüpfen.
Was das Theaterprojekt erst für Gefühle und dann für Erkenntnisse bei den Jugendlichen auslöst, haben wir auch in diesem Jahr erlebt. Im wahrsten Sinne des Wortes spielend eine Vorstellung davon zu bekommen, was Ohnmacht, Unterdrückung, aber gerade auch Selbstbestimmung bedeuten, ist eine Erfahrung, die für alle Teilnehmenden ein Geschenk ist - und Mut macht.
Mehr lesen: Rückblick auf die ersten 20 Aufführungen von „Mein Herz gehört mir“